Das Mädchen mit den Teufelsaugen
Beispiel nicht für das Urselchen? Ein jeder sah in ihr die gute Hausfrau, die treusorgende Mutter. Dass sie den ganzen Tag im Bett lag und süßes Mandelgebäck aß, störte niemanden. Es reichte bei Ursula aus, was sie selbst über sich berichtete. «Ach, der kleine Kaspar. Er ist meine ganze Freude. Die Sonne lacht mir, wenn ich ihn sehe.» Und die anderen Weiber betatschten das Kleinkindköpfchen, nickten der Ursula freundlich zu und fragten diese gar, wie sie es denn schaffe, die viele Arbeit in einem Zunftmeisterhaushalt zu bewerkstelligen. Ursula winkte dann hoheitsvoll ab. «Ach, lasst uns lieber über etwas anderes sprechen. Ich sinke jeden Abend halbtot vor Müdigkeit ins Bett. Gute Dienstboten sind so schwer zu finden. Alles muss man allein machen, will man sicher sein, dass es auch klappt.» Sie verschwieg dabei wohlweislich, dass es Lisbeth war,die zeternd, keifend und manchmal sogar schlagend die Mägde im Zaume hielt und sich dazu noch um das Kasperchen kümmerte, wenn Ursula, ermattet vom eigenen Glanz und der eigenen Trägheit, zu allen Tageszeiten plötzlich ins Bett sank und schnarchend schlief, danach nach Zuckerwerk und Mandelmilch verlangte und sich erst erhob, wenn Michael aus der Werkstatt ins Haus kam. Dann strich sie ihm Honig ums Maul, versuchte sogar hin und wieder, sich auf seinen Schoß zu setzen, doch meist stieß er sein Weib von sich. «Packt dich! Fett wie ein Otter bist du geworden. Ich kann mich gar nicht mehr zeigen mit dir. Dazu deine Verwandtschaft!» Er hob verzweifelt die Hände und sah zur Decke: «Gott, womit habe ich das verdient!» Dann sprang er auf und eilte ins Zunfthaus, um sich von den anderen trösten zu lassen.
Einmal, so erzählte der Vater Rosamund, war er am späten Abend besoffen wie ein Henkersknecht nach Hause gekommen. Er hatte gebrüllt nach seinem Weib. Als Ursula sich endlich in die Küche geschleppt hatte, habe er mit dem Nudelholz nach ihr geworfen und sie beschimpft, ihn wie eine Spinne in ihr Netz gezogen zu haben. Das Urselchen aber hatte das Nudelholz mit einer Hand gefangen und hatte es sogleich kräftig auf dem Ehegattenhaupt niedersausen lassen. Am nächsten Tag lag er krank zu Bett, und als er wieder genesen war, hasste er sein Weib und ihre Familie aus ganzem Herzen. Da er aber schlecht zugeben konnte, sich bei der Wahl des Eheweibs vertan zu haben, so schob er alle Schuld auf Matteo und dessen geheimes Buch, mit welchem er die Aufträge herbeizauberte,und auf Rosamund, auf die man schon seit ihrer Kindheit ein Auge habe werfen müssen.
Rosamund hätte darüber lachen müssen, doch sie konnte es nicht. Viel zu sehr nagte der Zweifel an ihr. Und als nach einem Monat ihre Blutung regelmäßig wie der Scherenschleifer ins Haus kam, beschloss sie, einen Exorzismus an sich vornehmen zu lassen.
«Komm um Mitternacht, Kind», hatte der Priester ihr befohlen. «Bei Vollmond um Mitternacht. Sieh zu, dass niemand dich sieht. Und sprich mit keinem Menschen über dein Vorhaben.»
Rosamund tat, was der Priester verlangt hatte. Sie hatte sogar dem Matteo eine großzügige Portion Baldrian in den Würzwein gemischt, damit sein Schlaf tief und fest war. Als er zu schnarchen begann, hatte sie sich angezogen und schlich nun im Schutze der Häuser heimlich wie ein Dieb zum Priester der Cyriakusgemeinde, die sich am Rande des Römers befand. Eigentlich gehörte Rosamund und ihre Familie nicht zur Gemeinde von St. Cyriakus. Immerhin waren sie eine Meisterfamilie, und zu St. Cyriakus gingen die, die sonst nichts hatten: die Tagelöhner, die Hafenarbeiter, Fischer, Waschfrauen, die Auflader, die Mägde und Knechte.
Als die Turmuhr Schlag Mitternacht verkündete, klopfte sie an die Tür des Pfarrhauses. Stumm wurde geöffnet, und Rosamund schlüpfte in das Innere des Hauses.
«Hat dich jemand gesehen?», fragte der Priester. Rosamund schüttelte den Kopf.
«Hast du mit jemandem gesprochen?»
Wieder verneinte Rosamund.
Der Priester hob die Hand, in der er ein Holzkreuz hielt, fuhr damit über Rosamunds Kopf und sprach salbungsvoll: «Und der Engel des Herrn sprach zu dem Satan: ‹Der Herr schelte dich, du Satan!›»
Dann führte er sie in den Keller, ein feuchter Raum mit dicken Wänden aus Stein. Auf dem Boden stand das Wasser. Der Priester faltete die Hände, hielt darin das Holzkreuz und sprach: «Ihr habt den Teufel zum Vater, und nach Eures Vaters Gelüste wollt Ihr tun. Der ist ein Mörder von Anfang an und steht nicht in der Wahrheit; denn
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