Das Mädchen mit den Teufelsaugen
Verbrannt, weil sie als eine Zauberin galt.»
«Was hat sie getan?»
Der Vater trat dicht vor Rosamund, nahm ihr Gesicht in seine Hände. «Sie hat nichts getan. Sie hat dich nur beschützt. Mit ihrem Leben.» Und dann berichtete er, was damals geschehen war.
Rosamund sah ihrem Vater ins Gesicht, die Augen vor Entsetzen weit aufgerissen. Leise, fast unhörbar flüsterte sie: «Wegen mir ist sie verbrannt worden?»
«Ja.»
«Wegen einem kleinen Mädchen, das noch keine Herrschaft über die eigenen Gedanken hat?»
«Ja.»
Rosamund machte sich los, lief mit wehenden Röcken in den Nebel hinein.
«Kind! So warte doch!», schrie der Vater ihr hinterher, doch Rosamund war taub geworden. Die Stimmen in ihrem Kopf waren so laut, dass sie nichts mehr hörte.
«Gestorben wegen mir. Verbrannt bei lebendigem Leib. Meine Schuld. Mein Dasein. Ihr Verderben.»
Sie rannte so schnell sie konnte, stolperte, fiel hin, riss sich den Umhang an den Dornen auf, fühlte Spinnweben in ihrem Gesicht und rannte weiter und weiter, bis sie keinen Atem mehr hatte.
Da blieb sie stehen, lehnte sich an einen Baum, hörte ihr laut schlagendes Herz. Ein mächtiger Schrei drang aus ihrer Kehle, ohne dass sie sich dessen bewusst war.
Sie stürzte nieder, blieb auf dem kalten Novemberboden liegen. «Ich bin verdammt», stöhnte sie auf. «Ich bin verdammt.»
Einundzwanzigstes Kapitel
Rosamund kam sehr spät von der großen Bleiche zurück. Matteo war nicht zu Hause, die Magd schon zu Bett. Sie kämmte sich die Spinnweben aus dem Haar, zupfte Tannennadeln von ihrer Kleidung, nähte den Riss, spülte die verschwollenen Augen mit kaltem Kamillenaufguss, saß lange in der dunklen Küche, die Hände im Schoß, und starrte in die Dunkelheit.
Sie dachte nichts dabei, sie fühlte nichts. In ihr war nur Leere. Alle ihre Gefühle waren im Novembernebel verschwunden.
Ein klägliches Winseln drang an ihre Ohren. Rosamund wusste nicht, ob es von draußen kam oder aus ihrem Inneren. Nach einer langen Weile erst, als das Winseln nicht abriss, obwohl Rosamund eine Hand auf ihren Mund gepresst hatte, stand sie auf und sah vor der Tür nach.
Auf der Schwelle lag ein Hund. Ein Hündchen, zitternd und so winzig, dass sie es auf dem Handteller ins Warme tragen konnte.
Aus braunen Augen blickte das Hündchen Rosamund treuherzig an, wedelte mit seinem Schwänzchen und leckte ihr sogar die Hand mit einer rauen Zunge, als sie ihm das Köpfchen streicheln wollte.
Rosamund wärmte das Hündchen mit ihrem Leib, machte Milch warm und gab dem Tier zu trinken. Dann legte sie eine alte Pferdedecke neben den Herd, packte das Hündchen darauf und ging zu Bett.
Kaum lag sie, hörte sie wieder dieses Winseln. Sie öffnete die Kammertür, das Hündchen tobte hinein, sprang in ihr Bett, räkelte sich in der warmen Kuhle, die ihr Körper hinterlassen hatte, streckte alle vier Pfoten in die Luft und war schon eingeschlafen.
Rosamund stand ratlos davor. «Ein Kind habe ich mir gewünscht», flüsterte sie mit einer Traurigkeit und Wehmut, die tief aus ihrem Inneren kam. «Und was habe ich bekommen? Einen Hund! Ist das nicht der letzte Beweis dafür, dass ich den Teufel in mir trage?»
Am liebsten hätte sie das Hündchen bei den Pfoten gepackt und es in der Wassertonne ertränkt. Aber sie brachte es nicht über das Herz. Ihr Kind war ein Hund, den sie nicht einmal selbst geboren hatte.
Sie legte sich neben das Hündchen, schlang ihren Arm schützend um das winzige Wesen und schlief ein.
«Was ist das?», fragte Matteo am nächsten Morgen, als Rosamund das Hündchen in die Küche trug.
«Bommel» sagte sie. «Ein kleiner Hund, dem ich den Namen ‹Bommel› gegeben habe. Ich habe ihn vor der Haustür gefunden. Er lag einfach da.»
Matteo seufzte. «Ich wünschte, jemand würde ein Kind auf unsere Schwelle legen.»
Da schwieg Rosamund, strich Bommel über den Kopf und ließ ein paar Tränen in sein Fell tropfen.
Matteo stand auf, nahm sie in den Arm. «Es ist schwer mit uns, nicht wahr?», fragte er.
Rosamund nickte. «Ich hatte mir alles ganz anders vorgestellt.»
Matteo wiegte sie hin und her, strich ihr dabei über den Rücken, streichelte auch das Tierchen. «Wenn ich uns nur helfen könnte», flüsterte er, wiederholte es wieder und wieder.
Wie werden wir zu dem, was wir sind?, fragte sich Rosamund in den nächsten Tagen.
In ihrem Fall schien die Frage einfach zu beantworten zu sein: Die Leute bestimmten, wer sie war.
Warum aber galt diese Regel zum
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