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Das Mädchen mit den Teufelsaugen

Das Mädchen mit den Teufelsaugen

Titel: Das Mädchen mit den Teufelsaugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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schwierige Geburt, bei der sogar die Hebamme Blut und Wasser geschwitzt hatte. Den Michael hatte die Nachricht in der Zunftstube erreicht. Die Magd musste laufen und ihm ausrichten, es eile, wolle er Weib und Kind noch einmal lebend sehen. Aber Michael war geblieben, hatte nur auf die Gesundheit von Weib und Kind angestoßen, und das hatte gereicht, um die beiden durchzubringen. Ein Zeichen des Herrn, dass er es gut meinte mit den seinen aus der unteren Weißbindergasse.
    Gesehen hatte Rosamund die kleine Nichte noch nicht. Sie war nicht geduldet im Elternhaus, und dieMutter und die Schwester setzten keinen Fuß über Rosamunds Schwelle. Nur der Vater kam hin und wieder, stahl sich heimlich aus seinem Haus, kaum dass die Frau und die Tochter zum Einkaufen waren. Dann rannte er mit geduckten Schultern und ohne auf die Grüße der Nachbarn zu achten die wenigen Schritte bis zum Tochterhaus, schlüpfte dort in die Werkstatt, sagte laut: «Ach!», und musste erst einmal schnäuzen. Er ließ sich auf einen Schemel sinken, keuchte sich die Angst aus den Rippen und erzählte, wie es im Elternhaus aussah. «Die kleine Enkelin, sie schreit den ganzen Tag. Eine Amme ist schon fortgeschickt, der nächsten wird dasselbe Schicksal blühen. Keiner kriegt die Kleine ruhig. Nur wenn sie herumgetragen wird, schläft sie. Die Hebamme sagt, das kommt, weil das Kind im Bauch zu wenig Bewegung hatte. Die Trägheit muss erst ausgeschwitzt werden, deshalb schreit das Mägdlein so. Getauft ist es noch nicht, der Michael möchte es Annette nennen nach seiner Mutter, doch die Ursula möchte ein Blümchen haben. Pupsegal ist ihr, dass nur die Judenmädchen so heißen. Von denen, sagt die Ursula, lasse sie sich noch lange nicht vorschreiben, wie ihr Kind zu heißen hat. Aber der Michael will einen guten christlichen Namen und kein Blümchen oder Herzgütelchen oder Silbersternchen.»
    Rosamund hörte dem Vater zu, der immer grauer wurde von Besuch zu Besuch und über Schmerzen im Rücken klagte, die ihn ganz krumm machten, und über Brennen beim Wasserlassen und darüber, dass der Schlaf nicht kommen wollte.
    Er tat ihr leid, aber zugleich und ganz insgeheim gönnte sie ihm die Schlaflosigkeit. Am liebsten hätte sie ihn bei den Schultern genommen und einmal kräftig durchgeschüttelt, damit er aufbegehrte und sich wehrte und der Mutter BEFAHL, sie solle ein Kissen mit Kirschkernen stopfen und es über den Herd hängen für seinen Rücken. Aber Rosamund wusste, dass er schwach war und feige. Sie hatte es schon immer gewusst. Und mehr als einmal hatte er sie dafür um Vergebung gebeten. Sie hatte es getan, jedes Mal, und sich immer dabei gefragt, ob es nicht ausreichte, alleingelassen worden zu sein. Musste sie überdies noch vergeben, den Vater von seiner Schuld erlösen?
    Aber so war es nun einmal, und als sich der Vater nach einer Viertelstunde ächzend erhob, eine Hand in den Rücken gepresst, gab sie ihm eine Salbe mit, in die sie zerstoßenen Pfeffer, Brennnessel und reichlich gehackte Minze gemischt hatte, damit der Rücken weniger Beschwerden machte.
    Kaum war er zurück nach Hause geschlichen, nahm sie ihren Weidenkorb und durchstreifte die Straßen. Normalerweise wollte sie nur ein wenig Bewegung, doch heute hatte sie noch einen besonderen Grund. Bommel war verschwunden. Seit das Hündchen ein wenig größer geworden war, war es auch selbständiger geworden, hing nicht mehr den ganzen Tag an Rosamunds Rockzipfel. Sie ließ ihn bei Tag auf der Gasse umherstreifen, doch gestern Abend war er zum ersten Mal nicht zum Fressen nach Hause gekommen. Jetzt war sie unterwegs in der Hoffnung, ihn irgendwo zu entdecken.
    Vor den Kirchen lagerten die Bettler auf den Stufen, die Knie mit zerschlissenen Umhängen bedeckt. Einer schlief, zwei hockten beieinander, redeten, zeigten mit Fingern auf die Vorübergehenden. Näherte sich eine Frau, setzten sie schmerzliche Mienen auf, streckten die Hände vor und erzählten Geschichten, die selbst dem Teufel Mitleid entlockt hätten. Kaum war die Frau, um ein paar Münzen erleichtert, verschwunden, wich der Schmerz aus den Gesichtern, sie wurden lebhaft, schwatzten, tranken einen Schluck aus einer zerbeulten Weinkanne, die unter einer Decke verborgen war, und lachten laut, bis sich das nächste Weib näherte.
    Rosamund ließ ihren Blick weiterschweifen, sah alte Männer verloren vor ihren Werkstätten sitzen, in denen jetzt die Söhne das Zepter schwangen. Und alte Weiber, die in schwarzen Kleidern und auf

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