Das Mädchen mit den Teufelsaugen
Krückstöcke gestützt zur Kirche schlurften, um in ihren letzten Tagen die schöne Jugend zu bereuen.
Sie sah die jungen Mädchen aus den Bürgerhäusern treten, Blicke nach links und rechts werfend, laut kichernd, um nicht übersehen zu werden.
Sie sah Auflader und Träger, schwankend unter den Lasten auf ihren Rücken, die von Straßenjungen angerempelt wurden und nicht einmal mehr die Kraft hatten, den Lachenden hinterherzufluchen. Doch ihr Hündchen, Bommel, sah sie nicht.
Selbst in die Vorstadt zog es Rosamund. Sie lief durch eines der Stadttore, befand sich kurz darauf auf ungepflasterten Wegen, die bei gutem Wetter den Kleidersaumbis zum Knie mit Staub bedeckten, bei schlechtem Wetter mit Schlamm. Sie schlenderte an den ärmlichen Hütten vorbei, vor denen halbnackte Kinder mit Dreck spielten oder Steine nach räudigen Kötern warfen. Auch am Haus des Henkers, welches sehr stattlich und mit einer mannshohen Mauer umgeben war, kam sie vorüber. Vor diesem Haus spielte niemand. Nicht einmal die Katzen legten sich hier in die Sonne. Es schien fast so, als läge ein Schatten über dem Anwesen. Unwillkürlich schnupperte Rosamund, doch es roch wie überall sonst in der Vorstadt nach Armut und Kohlsuppe und keineswegs nach Leichen.
Auf den Feldstücken hockten Frauen und hieben mit kleinen Schaufeln Ackerstücke hoch. In der Luft kreisten ein paar Vögel mit großem Geschrei. Es mochten Raben sein, die eine tote Katze entdeckt hatten. Leichten Fußes schritt Rosamund einher, betrachtete die halb verfallenen Hütten, die blassen Frauen, die zerschlissene Wäschestücke auf eine Leine hängten, und gelangte schließlich zum Frauenhaus. Obwohl es erst Mittagszeit war, herrschte reger Betrieb. Männer betraten das Haus, andere kamen heraus. Die Fenster des unteren Stockwerkes waren geöffnet. Lärm wie aus einer Schankstube war zu hören.
Im Eingang des Frauenhauses stand ein Weib. Rosamund betrachtete es aus den Augenwinkeln. Das Weib, angetan mit einem bunten Kleid, lehnte mit der Schulter am Türrahmen, schüttelte das lange Haar, hielt die Füße übers Kreuz und den Blick geradeaus.
Rosamund blieb stehen. Da stand die Sünde. Die leibhaftige Teufelin, die Verführerin der ehrbaren Männer, die Wollust an sich und senkte nicht einmal den Blick, sondern sah sie an, von gleich zu gleich, und nickte ihr sogar zu. Nicht unsichtbar, klein und bescheiden, nein, diese Frau blühte wie eine Blume im Türrahmen, als hätte Mutter Natur sie selbst dorthin gestellt.
«Gott zum Gruße, Frau», rief die Dirne und winkte Rosamund zu. «Habt Ihr Euch verlaufen hier? Oder sucht Ihr wen?»
Rosamund wagte es, den Blick zu heben. Sie sah in ein freundliches Gesicht, das sie fragend ansah. «Nein, ich suche nichts. Ich gehe hier nur», sagte sie.
Das Kebsweib lachte. «Na, Ihr seid mir eine! Ihr geht hier nur so. Wollt Ihr nicht vielleicht sehen, ob der Eure bei uns ist?»
«Nein. Aber nein!» Rosamund schüttelte den Kopf, dass die Haube wackelte. «Nein, ich gehe hier nur so spazieren. Seht!» Sie deutete auf ihren Leib. «Ich möchte schwanger werden, brauche Bewegung, damit sich die Trägheit nicht einnistet in den Eingeweiden.»
In diesem Augenblick kam ein Mann des Weges, haute der Frau auf den Hintern, zog sie ins Haus hinein. Das Kebsweib drehte sich noch einmal um. «Ich muss arbeiten. Viel Glück mit dem Kind», rief sie ihr zu und verschwand.
«Ja. Danke sehr. Viel Glück auch Euch!», rief Rosamund zurück, doch die Frau war schon verschwunden.
Plötzlich fühlte sich Rosamund ganz leicht. Sie hatteein Kebsweib gesehen. Das war nicht neu, das hatte sie schon öfter. Während der Messe standen sie an allen Ecken. Aber noch nie hatte sie mit einer solchen Frau, einer sündigen Frau, geredet. So etwas tat man nicht. Eine anständige Frau mied die Dirnen wie der Teufel das Weihwasser. Die anständigsten unter den Frankfurterinnen, Ursula zum Beispiel, spuckten gar aus vor den Weibern mit dem gelben Hurenzeichen.
Aber sie hatte mit der Frau geredet. Nicht mit geneigtem Kopf und einem milden Lächeln auf den Lippen wie die Beginen oder die anderen frommen Frauen, die kamen, um die Wege der Tugend aufzuzeigen und Gutes zu tun. Sondern von Frau zu Frau, von gleich zu gleich. Und Rosamund hatte die Frau gemocht. Einfach so. Weil sie freundlich war, weil sie gelächelt hatte. Und nichts war passiert. Nichts von dem, was die Mutter oder die Benediktinerinnen ihr für einen solchen Fall vorausgesagt hatten. Nein, in
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