Das Mädchen mit den Teufelsaugen
nach.
Die Marktfrau war bis ans hinterste Ende des Standes zurückgekrochen, schützte ihr Gesicht mit der Hand vor Rosamunds Blicken.
«Was los ist, will ich wissen», befahl Rosamund in einem Ton, den sie von Ursula gut kannte. «Sagt es mir, sonst komme ich Euch näher.»
Die Marktfrau begann zu zittern. «Bitte, tut mir nichts. Ich habe vier Kinder und eine kranke Mutter.»
Rosamund sah, dass die Frau eine Heidenangst vor ihr hatte, doch das kümmerte sie jetzt nicht. «Sprecht, aber schnell.»
«Der wilde Hund in der Heide. Er gehört Euch, nicht wahr? Er fällt die Menschen an, verbeißt sich in ihr Fleisch. Die Jäger ziehen jeden Tag aus, aber sie können ihn nicht töten. Zwei Mal schon haben sie auf ihn geschossen, doch er fällt einfach nicht zu Boden. Nachts geht er um und sucht nach verlorenen Seelen. Und Ihr habt ihn großgezogen.»
«Wer spricht so?», fragte Rosamund.
«Alle.»
«Und wer ist durch den Hund zu Schaden gekommen?»
Die Marktfrau schlotterte nun am ganzen Körper. «Der Eure», flüsterte sie. «Weil er Euch kein Kind schenken kann, deshalb. So war’s schon immer, sagen die Leute. Schon als Kind habt Ihr gehext, habt später sogar die Leute glauben machen, Ihr wärt eine Heilige. Aber das war nur eine Lüge, um Euch zu schützen. Der Hund hat die Wahrheit an den Tag gebracht.»
«Das erzählt man sich?» Rosamund runzelte die Stirn. «Das glauben die Leute?»
Die Marktfrau schluckte und nickte. «Es gibt genug Beweise.»
«Unfug», bestimmte Rosamund. Sie trat einen Schritt näher und betrachtete die Frau. Sie war ungefähr im selben Alter wie die Dittmännin. «Nehmt die Hände herunter und neigt den Kopf ein wenig zur Seite.»
«Wollt Ihr mich verhexen? Bitte, ich habe vier Kinder …»
«… und eine kranke Mutter, ich weiß. Ich tue Euch nichts, nur legt endlich den Kopf schief.»
Die Marktfrau tat es, und ihr Leibeszittern verstärkte sich noch dabei.
Rosamund schritt um die Frau herum, trat dicht an sie heran, studierte die Halsfalten. Nach einer Weile hatte sie genug gesehen. «Ich danke Euch», sagte sie zu der Frau, die einer Ohnmacht nahe an ihrem Stand lehnte. «Ihr habt mir sehr geholfen.»
Dann ging sie davon, hörte hinter sich Stimmengewirr, wandte sich um und erkannte, dass sich vor dem Käsestand eine aufgebrachte Menschenmenge versammelt hatte. Eine hob die Faust und drohte ihr aus der Ferne. Rosamund kümmerte sich nicht weiter darum. Schon oft hatte man sie eine Hexe genannt. Es gab Wichtigeres im Leben. Und im Augenblick ging es darum, die Halsfalten der Dittmännin zu malen.
In der Werkstatt nahm Rosamund sofort den Pinsel zur Hand, malte die Neigung des Kopfes neu, bemerkte nicht, dass sie dabei von Matteos Umrissen abwich. Sie malte wie im Rausch, hörte nicht, wie sich Dietrich zum Feierabend verabschiedete, achtete nicht auf den Boten, der ein Schreiben brachte, bemerkte selbst die Dunkelheit erst, als sie die Farben nicht mehr erkennen konnte.
Da ließ sie sich auf einen Schemel sinken, spürte ihre schmerzenden Füße, den wehen Rücken. Sie war so erschöpft, dass es ihr Mühe bereitete, ein Licht anzuzünden und den Pinsel auszuwaschen. Dann betrachtete sie das Porträt. Ihr schien es, als hätte sie etwas geschafft, was ihr zuvor noch nie gelungen war. Ja, das Bild zeigte Maria Dittmann. Aber es zeigte nicht nur die Ratsherrenfrau, sondern außerdem noch allen Schmerz, den sie womöglich in ihrem Leben erlitten hatte und der sie doch nicht hatte brechen können. Rosamund fehlten die Worte für das, was sie sah, doch sie wusste, dass sie ihrem Leben, ihrem Schmerz in der Figur der Maria Dittmann Ausdruck verliehen hatte.
Es dauerte eine Weile, bis sie sich von dem Porträt losreißenkonnte und sich hinüber zum Haus schleppte. Ihr Magen knurrte, und ihr Mund fühlte sich trocken an. Seit dem Frühstück hatte sie nichts mehr zu sich genommen. In der Küche fand sie ein wenig Brot, Butter und Käse. Ulla, die Magd, hatte die Sachen hingestellt. Rosamund fiel darüber her, hieb ihre Zähne in den Käse, riss große Stücke vom Brot. Dann trank sie hintereinander zwei Becher Milch, wischte sich mit dem Ärmel den Bart vom Mund. Von oben hörte sie ein Geräusch. Matteo fiel ihr ein. Auch an ihn hatte sie seit dem Frühstück nicht mehr gedacht. Jetzt musste sie zu ihm, musste ihm berichten, was ihr gelungen war.
Sie eilte die Treppe nach oben, fand Matteo im Bett liegend vor, die kranke Hand auf der Brust, den anderen Arm hinter dem
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