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Das Mädchen und das schwarze Einhorn

Das Mädchen und das schwarze Einhorn

Titel: Das Mädchen und das schwarze Einhorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanith Lee
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erschien. »Wer dort?«
    »Ich wurde von Vush, dem Kunsthandwerker, herbefohlen.«
    »Du bist die Frau vom Markt. Beaufsichtige dieses Tier dort gut.« Das Piefel kratzte an der Goldauflage der Säulen herum.
    Während Tanaquil das Piefel noch von seinem verderblichen Tun abzubringen versuchte, glitt eine kleinere Tür in dem großen Portal auf. Tanaquil trat hindurch, das Piefel hinter sich her zerrend. Die kleine Tür, eine Art von Uhrwerkmechanismus, schnappte hinter ihnen ins Schloß.
    Sie standen in einem langen, von Hängelampen erhellten Korridor. Am Ende des Gangs befand sich eine zweite massive Tür. Die einzige Option bestand darin, weiterzugehen, was Tanaquil auch tat. Sobald sie auf die zweite Tür zuzugehen begann, setzten sich eine Vielzahl von mechanischen Kuriositäten um sie herum in Gang, vielleicht vom Geräusch ihrer Tritte auf dem Fußboden aktiviert. Glöckchen klingelten, kleine Fenster sprangen auf, hölzerne Vögel schwirr ten hervor - das Piefel hetzte ihnen hinterher -, Köpfe aus Stuck wandten sich ihr drohend zu und streckten ihr rote Gipszungen heraus. Tanaquil hielt das Ganze für ziemlich primitiv.
    Als Tanaquil die Tür erreichte — das Piefel kämpfte die ganze Zeit gegen seine Leine und versuchte, » Vogel, Vogel «, seine Bedürfnisse klarzumachen —, klopfte sie erneut, und diesmal schwang die Tür weit auf.
    Die Halle der Kunsthandwerker - der Name stand in Goldbuchstaben auf der gegenüberliegenden Wand, darüber noch ein Hammer - und - Meißel - Symbol, einige Sägen, Klammern, Maße und Ähnliches -war exakt quadratisch, schwarz getüncht und von Fackeln erhellt. Auf schwarzen Sesseln saßen rundum dreißig Männer, die Tanaquil für Amtsträger oder leitende Gildenmitglieder hielt. Und gegenüber der Tür, direkt unter der Aufschrift, saß jemand, den Tanaquil als Vush identifizierte, denn sein Sessel war der größte, und ein furchterregender Bart quoll unter seiner Maske hervor. Jeder Mann hier trug eine Maske. Die Masken waren alle identisch, Bronzevisiere mit schwarzen Glasscheiben an Stelle der Augen. Sollten die Masken dem Zweck dienen, einen finsteren Eindruck unbeteiligter Unbarmherzigkeit zu schaffen, so war ihnen das gelungen. Tanaquil schwankte zwischen Verachtung und extremem Unwohlsein. Das Piefel schien ihre Stimmung zu teilen und hockte sich schweigend und in drohender Haltung zu ihren Füßen hin.
    Unvermeidlich erklang eine Stimme aus der Luft. Noch eine ihrer kleinen Erfindungen, aber verblüffend diesmal.
    »Vor Euch steht der Junge Tanaquil. Er ist in der Lage, Spiele und Puppen zu reparieren, und ersucht um Aufnahme in unsere Gilde. Mittlerweile hat er bereits ohne Mitgliedschaft gearbeitet, wofür er der Gilde ein Strafgeld von drei Kupfergewichten schuldet. Die Aufnahmegebühr kann er ebenfalls nicht bezahlen. Ein Bürge wird gesucht. Sagt mir, Brüder, will einer von Euch dem Jungen Tanaquil diesen Gefallen erweisen?«
    Einer der Maskierten, ein dünnes, knochiges Männchen, erhob sich mühsam. Säuerlich erklärte er: »Vush, unser Meister, schlug vor, daß ich es tun solle. Deshalb werde ich das Silber für den Jungen Tanaquil bezahlen, das er mir dann schuldet, zusätzlich zu einer Zinsgebühr von einem halben Bronzegewicht, eine Summe, die ich während des nächsten Jahres vollständig zurückerwarte, vor dem Fest der Segnung im folgenden Jahr.« Er setzte sich wieder hin.
    »Wir würdigen«, ließ sich die Stimme aus der Luft wieder vernehmen, »die Großzügigkeit unseres Bruders Jope. Hört und versteht der Junge Tanaquil? Verspricht er, dankbar für das Darlehen zu sein und es rechtzeitig zurückzuzahlen?«
    Tanaquil zuckte die Schultern. »Wenn ich muß. Wenn ich es überhaupt kann. Habe ich eine Wahl?«
    »Nein«, sagte der Maskierte mit Vushs Bart. »Antworte angemessen.«
    »Ich werde das Darlehen zurückzahlen«, deklamierte Tanaquil. »Was passiert, wenn ich es nicht kann?«
    »Dann wirst du als säumiger Schuldner von der Gilde durch die Straßen der Stadt gepeitscht werden«, klang es unter Vushs Maske verärgert hervor.
    »Wartet«, meldete sich Tanaquil erneut zu Wort. »Dann verzichte ich darauf. Ich werde nichts mehr reparieren. Ich kann mir eine andere Arbeit suchen.«
    Ein aufgeregtes Gemurmel schwoll durch den Raum, und sie hörte, wie eine der Masken sagte: »Ich habe es Euch doch gesagt, das ist das Mädchen mit dem sprechenden Tier, von dem ich gehört habe.«
    Vush räusperte sich, und in der Halle herrschte wieder

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