Das Maedchen und der Luegner
vermutet hätte. Er musste also in den Privaträumen von Lavinia von Tarlton gewesen sein.
Darauf konnte sich Tanja keinen Reim machen. Doch sie dachte auch nicht weiter darüber nach. Sie fühlte nur, dass ihr das Herz bis zum Hals pochte. Es war ein schönes, ein erregendes Gefühl, und doch tat es auch weh, denn Tanja wußte nicht, was sie tun sollte. So gern wollte sie einmal mit ihm reden, wollte erfahren, ob er in Wirklichkeit auch so liebenswert war wie sie es damals empfunden hatte, als sie ihn im Fernsehen sah. Vielleicht konnte sie ihn einmal erwischen, wenn er wieder mit seinen Pflanzen arbeitete. Ja, das war die Lösung, die sie bald erreichen wollte. Doch zunächst konnte sie nur abwarten, und das erforderte viel Geduld. Die war noch nie ihre Stärke, war es noch nie gewesen. Würde sie die aufbringen?
***
Die Gelegenheit für ein kurzes Gespräch mit dem sympathischen Gärtner ergab sich für Tanja schneller, als sie es zu hoffen gewagt hatte. Es war gegen Abend nach einem wundervollen Sonnentag. In der Luft lag bereits der süße Duft nach Spätfrühling, und in dem weitläufigen Park gab es unzählige Blüten in allen möglichen Farben.
Tanja hielt es in ihrer gemütlichen Wohnung nicht mehr aus. Sie wollte einen kurzen Rundgang durch den Park machen, ehe sie ins Bett ging. Diese Entscheidung erwies sich als sehr gut, denn kaum war sie ein Stückchen vom Haus entfernt, entdeckte sie ihn. Den Gärtner.
Selbstvergessen harkte er in der prächtigen Rosenrabatte, um erstes Unkraut zu entfernen. Er war so versunken in seine Arbeit, dass er die leichten Schritte nicht hörte, die sich ihm näherten. Deshalb zuckte er erschrocken zusammen, als er merkte, dass er nicht mehr allein war.
» Entschuldigung«, versicherte Tanja, die ebenfalls erschrocken zusammengezuckt war. »Ich wollte nur noch ein bisschen an die frische Luft, ehe ich ins Bett gehe. Der Park sieht wunderschön aus. Bearbeiten Sie das alles ganz allein ? «
Der Mann schüttelte den Kopf. »Nicht ganz«, antwortete er schmunzelnd. »Einige Male im Jahr, so wie es benötigt wird, kommt ein Gärtner aus der Stadt und hilft. Alles wäre wirklich zu viel für eine einzige Person. Aber ich liebe meine Pflanzen, überhaupt den ganzen Park. Und soweit ich es schaffe mache ich es am liebsten allein . « Er richtete sich auf und verzog für einen Moment lang das Gesicht. »Das geht ganz schön ins Kreuz, wenn man längere Zeit gebückt steht . « Er schaute der jungen Frau ins Gesicht und blieb fasziniert an ihren wunderschönen Augen hängen. »Mögen Sie einen kleinen Rundgang mit mir unternehmen? Ich würde Ihnen gern den neuen Teich zeigen, den ich letzten Herbst angelegt habe. Inzwischen tummeln sich verschiedene Fische darin und die Seerosen werden diesen Sommer auch zum ersten Mal blühen . «
Nur zu gern nahm Tanja sein Angebot an. Eine ganze Zeitlang gingen sie schweigend nebeneinander her, bis der Gärtner die Stille unterbrach. »Sicher ist es noch zu früh zum Fragen, aber ich mache es trotzdem. Wie gefällt es Ihnen hier auf Gut Dreieichen? Haben Sie es sich so vorgestellt? Wie ich gehört habe sind Sie aus der Großstadt. Da ist der Kontrast schon erheblich.« Er warf ihr einen interessierten Seitenblick zu.
» Ich stamme vom Land. Nach dem Tod meiner Eltern hat mich das Schicksal in die Stadt verschlagen. Es war eine gute Zeit und ich bedauere es nicht, aber wirklich wohl gefühlt habe ich mich eigentlich immer in der Natur. Deshalb bin ich auch sehr dankbar, dass ich hier arbeiten darf. Wie lange arbeiten Sie schon hier auf dem Gut? Ich kann mir vorstellen, dass Sie sehr glücklich sind . «
Sie hatten jetzt den großen Teich erreicht, in dem sich die beiden alten Eichen auf der gegenüber liegenden Seite spiegelten. Ruhig lag die Wasserfläche da und schien unergründlich tief zu sein. Immer wieder zeigten kleine Kreise an, dass Fische nach oben kamen und nach den Fliegen schnappten, die noch immer auf dem Wasser tanzten.
»Ja, das bin ich, und ich lebe auch schon sehr lange auf dem Gut, eigentlich seit meine Eltern tot sind. Keine Macht der Welt bringt mich je wieder weg von hier . « Das war sogar die Wahrheit. Er war in die Obhut seiner Großmutter gekommen, als seine Eltern starben. Er lachte und kämpfte einen Moment lang mit der Entscheidung, ob es jetzt nicht an der Zeit war, Farbe zu bekennen.
» Von Anfang an hatte ich das Gefühl, hier zuhause zu sein«, unterbrach Tanja seine Überlegungen. »Verrückt, oder?
Weitere Kostenlose Bücher