Das Mädchen und der Schwarze Tod
eindringlich. »Der Mann, vor dem Ihr mich warnen wolltet, ist nicht der Kopf der Bruderschaft, sondern ein anderer, mächtigerer …« Notke formte mit den beiden Daumen und Zeigefingern einen Kreis. Es war ein O! Marike erbleichte. Oldesloe sollte also doch mit dem Tod von Lysekes Verlobtem zu tun gehabt haben? Sie mochte das nicht glauben. Doch auf der anderen Seite war Lynow weder intelligent noch gewieft genug, um einen Mord so zu planen, dass er wie ein Unfall aussah … »Warum habt Ihr mir das nicht schon in der Marienkirche gesagt?«, fragte sie heiser.
»Mich banden heilige Eide.«
»Eide? An wen?«
Er wich ihrem Blick aus. »An die Bruderschaft«, gestand er dann.
Marike fehlten die Worte. Er hatte sich diesen Schurken angeschlossen! Doch sie schluckte eine Bemerkung herunter. »Und jetzt binden sie Euch nicht mehr?«
»Sagen wir einfach …«, erwiderte Notke stockend, »dass diese Eide so heilig nicht sind.«
»Oh.« Marike schluckte. »Und warum versucht … er … Euch an den Galgen zu bringen?«
»Dieser Mann hat gemerkt, dass ich ihm nicht zu Diensten sein werde. Also schafft er mich aus dem Weg.«
»Was wollte er denn von Euch?«
»Ich sollte ein paar Dinge für die Bruderschaft tun.«
»Was für Dinge?«
»Jene, die Lynow jetzt nicht mehr erledigen kann.«
Marike hob erschrocken die Augenbrauen. Der Schmied war also nur Oldesloes Laufbursche gewesen? Wie tief war der Ratsherr in die Machenschaften verstrickt? »Ihr habt abgelehnt?«
»Allerdings. Das war mir zu heikel – besonders nach Euren Worten.« Er sah zerknirscht zu Boden. »Ich habe nicht gut genug hingeschaut, weil ich mich geschmeichelt gefühlt habe. Der große Anton Oldesloe bittet den kleinen Maler Notke in eine Pestbruderschaft.« Er seufzte. »Ich habe den Eindruck, gegen mich wirken selbst Esel schlau.«
Marike sah sich in der kleinen Kammer um. Der Fron und Alheyd warteten noch an der Tür, und durch das vernagelte Fenster kam kaum Licht herein. »Was sollen wir bloß tun?«, wisperte sie dann mutlos. »Wenn wir nichts unternehmen, werden sie Euch noch an den Galgen bringen!«
»Macht Euch mal keine Sorge um mich, Jungfer«, meinte Notke. »Die Aussicht von dort oben soll großartig sein.«
»Das ist nicht lustig, Meister Notke!«, stieß Marike aus. »Sie werden Euch hängen! Wie könnt Ihr darüber scherzen?«
»Langjährige Übung«, erwiderte Notke. Doch sie erkannte an seinem dunklen Blick und den verkrampften Händen, wie viel Angst er ausstand.
»Es muss doch etwas geben, was ich tun kann!«
Der Maler schüttelte heftig den Kopf. »Oh nein, das könnt Ihr nicht. Ich will Euch keinesfalls in meine Angelegenheiten hineinziehen, Jungfer. Ihr dürft Oldesloe unter keinen Umständen zeigen, dass Ihr ihn verdächtigt! Geht nach Hause und tut, was brave Töchter so tun – kümmert Euch um Euren Vater.«
Marike starrte Notke ungläubig an. »Eure Angelegenheiten? Eure? Diese Angelegenheit war längst meine, bevor Ihr noch wusstet, dass dies überhaupt eine Angelegenheit ist!« Der Mann wollte etwas erwidern, doch Marike ließ ihn nicht zu Worte kommen. »Diese Angelegenheiten, wie Ihr sie nennt, haben meinen engsten Freund und Beichtvater umgebracht. Ich werde den Teufel tun und mich jetzt umdrehen und wegsehen! Jemand muss für Pater Martins Tod bezahlen, und glaubt mir, jemand wird bezahlen!« Hilflosigkeit und Schmerz vermischten sich zu einer betäubenden Wut. Sie hatte nicht für möglich gehalten, dass sie jemanden hassen konnte. Jetzt wurde sie eines Besseren belehrt.
Der Maler sah sie fragend an. »Noch vor ein paar Tagen habt Ihr ganz anders gesprochen.«
»In diesen Tagen sind Menschen gestorben, die meinem Herzen nahestanden«, erwiderte sie hart.
»Aber seht Ihr denn nicht?«, fragte Bernt eindringlich. »Martin hat sich eingemischt und dafür mit dem Leben bezahlt. Ich kann nicht erlauben, dass Euch dasselbe passiert!«
Marike wusste, dass Besorgnis aus ihm sprach. »Das ist nicht Eure Entscheidung, Meister Notke.«
Erstaunt schwieg er kurz. »Aber auch nicht Eure. Weiß Euer Vater davon?«
Marike schüttelte den Kopf. »Und ich werde ihm auch nichts davon berichten.«
»Warum nicht? Meint Ihr nicht, er könnte Euch dann besser schützen?«
»Nein, Herr Notke. Mein Vater leidet an der Auszehrung und hat genug Sorgen, ohne dass ich ihn auch noch zusätzlich gefährde. Ich werde zu ihm gehen«, versprach sie, »wenn ich Beweise habe. Vorher bleiben ihm nur zwei Möglichkeiten: seiner Tochter
Weitere Kostenlose Bücher