Das Mädchen und der Schwarze Tod
zu glauben und sich vielleicht zu blamieren, wenn er jemanden beschuldigt, oder seiner Tochter nicht zu glauben. Die Entscheidung will ich ihm nicht aufbürden.«
Notke nickte verständnisvoll. »Aber er wird mich umbringen, wenn er erfährt, dass ich Euch in Gefahr gebracht habe.«
»Das macht dann ja nur einen mehr, der Euch an den Kragen will«, entschlüpfte es Marike. Sein Galgenhumor steckte an.
Marike sah Notkes Widerstand förmlich schmelzen. »Ihr seid unwiderstehlich, wenn Ihr scherzt.« Dann wurde er wieder ernst. »Warum geschehen diese Morde? Warum tötet die Bruderschaft diese Leute?«
»Ich dachte, das würdet Ihr mir erklären können«, murmelte Marike. »Ihr seid ein Blasiusbruder, nicht ich.«
»Ist es dieser schlangenleibige Teufel?«, fragte Notke besorgt. Sie zuckte mit den Schultern. »Vielleicht hat er etwas damit zu tun. Aber dahinter steckt zu viel planvolle Absicht. Mit den Morden kommt die Bruderschaft an Geld, schaltet Gegner aus und verwischt die Spuren. Das klingt zu menschlich für einen Dämon.«
»Da habt Ihr recht«, stimmte er zu. Dann senkte er die Stimme, sodass sie ihn kaum verstand. »Der Mann, der Pater Martin und mich in diese Falle gelockt hat, ist Domherr Nikolaus. Er muss zumindest von Martins Tod gewusst haben. Er hatte Hilfe von einem Schurken mit nur einem Ohr – aber der lag tot daneben. Vielleicht wusste er zu viel.«
Marike nickte grimmig. Nikolaus – der Schriftführer und Übersetzer des Domkapitels. Und dieser Kerl namens Stocker war ja von Lynow angeworben worden. Doch wie konnte man Anton Oldesloe damit in Verbindung bringen? Ohne stichhaltige Beweise konnte sie einem so einflussreichen Mann kaum am Zeug flicken, um Notke freizubekommen und der armen Lyseke die Namen der Schuldigen zu nennen. Ihr Herz blutete schon jetzt, wenn sie darüber nachdachte, wie viel Trauer sie der Freundin durch diese Offenbarung verursachen würde. Ohne Beweise konnte sie ihr ja kaum mitteilen, dass ihr Vater hinter dem Tod ihres Verlobten steckte!
»Es tut mir leid, dass ich nicht auf Euch hören wollte«, gestand Notke dann. »Hätte ich eher mit Martin geredet … Aber vielleicht hat er mich zu sehr an jemand anderen erinnert … Ich habe gedacht, er wäre einer von diesen Schurken in Soutane, der nur Priester ist, um anderer Leute Vertrauen auszunutzen.«
»Wie konntet Ihr ihm das nur unterstellen? Wie könnt Ihr das überhaut einem Priester unterstellen? Sicher ist nicht jeder Priester so aufrecht, wie Martin es war. Aber Ihr hasst sie ja alle miteinander!«
Notke blickte düster drein. »Ich hasse sie nicht. Ich verachte sie. Priester sollten jene Menschen sein, denen wir am meisten vertrauen können. Stattdessen nutzen sie dieses Vertrauen oft genug schamlos aus.«
»Euch muss ein Kirchenmann einmal sehr hintergangen haben, was?«
Notke antwortete nicht. Er schluckte schwer, dann nickte er.
»Was ist passiert?«, fragte sie leise. Sie erschrak, weil sie ihn noch nie so wütend und traurig gesehen hatte – nicht einmal über seine eigene Verhaftung. Er verzog den Mund zu einem spöttischen Lächeln, und Marike dachte schon, er würde das Thema mit einem Spruch vom Tisch wischen. Dann wurde er wieder ernst.
»Man vertraut der Priesterschaft allzu leicht nur wegen ihres Rocks«, murmelte er. »Besonders, wenn sie aus der eigenen Familie kommt …« Er seufzte und fuhr sich durch das Haar. »Ich habe einen Onkel. Diderik Notke, seines Zeichens ein Priester der Kirche, der Bruder meines Vaters. Meine Mutter erzählt, dass er alles versucht hat, damit mein Vater kinderlos bleibt, seit er angefangen hat, mit seinem Kontor ein Vermögen anzuhäufen.« Er lächelte zärtlich. »Nun ist meine Mutter niemand, der sich beiseitedrängen lässt, und auch ihre Kinder hat sie stets behütet. Daher fing Diderik an, meinem Vater sein Seelenheil zu verkaufen. Er redete ihm schlimmste Gewissensbisse wegen der geringsten Kleinigkeiten ein. Und Vater zahlte, denn er wollte für seine und für unsere Seelen vorsorgen.« Notke schnaubte bitter. »Es hat ihn beinahe seinen ganzen Besitz gekostet, bis er dahinterkam, dass Diderik sich nur das Erbe sichern wollte, das er sonst nie erhalten hätte. Vater arbeitet mit meinem Bruder Jaspar immer noch daran, den Schaden wiedergutzumachen und sein Kontor wieder zu dem zu machen, was es einmal war.« Er sah Marike an. »Es gibt nur einen Verrat, der schlimmer ist als der eines Priesters, der dein Vertrauen ausnutzt. Und das ist die Familie,
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