Das Mädchen und der Schwarze Tod
aus Weidenruten und Stroh an, in dem die Scherben seiner Flasche leise klackerten.
»Die Flasche? Armer Bube«, versuchte Marike zu trösten, während Frederik ungeduldig auf der Straße wartete. »Aber das ist schon nicht so schlimm.«
»’s darf nich’ kaputt sein«, weinte Felix, als hätte er ihre Worte gar nicht gehört.
»Hat dein Vater nicht noch mehr?«, fragte Marike vorsichtig, doch das Weinen wurde nur noch stärker. Felix schüttelte den Kopf. Das kleine, dreckige Gesichtchen, in das so viel Unglück geschrieben stand, brach ihr beinahe das Herz.
»Das ist schlecht«, bekannte die Kaufmannstochter. Sie winkte Frederik herbei. »Was kostet denn eine neue?«
»Herrin«, wandte der Knecht ein, doch Marike hob die Hand, um ihn zum Schweigen zu bringen. Der Junge hob nur die Schultern. »Wird ein Dreiling genug sein?«, fragte sie den Knecht. Doch auch der zuckte mit den Achseln. »Ich weiß nicht, Herrin. Gut möglich.«
»Dann gib ihm einen.«
»Herrin?«
»Gib ihm das Stück Silber!«
Gehorsam kramte der Knecht das Geld aus der Börse und drückte es dem kleinen Dreckspatz in die Hand. Der nahm die Münze, doch das Weinen hörte nicht auf, und er bekam kein Wort heraus.
»Lass gut sein«, lächelte Marike und wuschelte ihm durch das rote Haar, das sowieso nach allen Richtungen vom Kopf stand. »Ich bete für dich und deinen Vater.« Da nickte der Junge endlich. Marike konnte es kaum ertragen, den Burschen so unglücklich zurückzulassen, doch sie hatte noch einen Gang zu machen, und Felix war weder ihr Bruder noch ihr Sohn. Sie war nicht für ihn verantwortlich. Also klopfte sie schließlich an die Tür der Oldesloes.
Die Magd Alberte ließ Marike und Frederik niedergeschlagen ein. Hatte sie etwa Gefühle für den Gesellen gehegt? »Du hast mein Mitgefühl«, murmelte Marike leise. Die dürre Magd starrte sie an, als hätte man sie bei etwas ertappt. Marike lächelte. Dann trat sie mit Frederik in die oldesloesche Diele. In der Mitte war der Leichnam aufgebahrt, denn der Geselle war genauso ein Teil dieses Hauses gewesen, wie Frederik und Alheyd zu der Familie der Pertzevals gehörten.
Marike hatte den jungen Kaufmann nicht sonderlich gut gekannt und auch nicht gerade gemocht. Doch die Freude darüber, dass er an ihres Vaters statt auf einer Totenbahre lag, quälte sie. Sie trat an den Tisch heran und bekreuzigte sich, während sie leise für seine Seele betete. Frederik tat es ihr gleich. Der Tote sah schlaff und blass aus und roch trotz der Kräuter säuerlich. Einige Knochen sahen gebrochen aus, und der Kopf wies eine große Wunde auf.
Schließlich trat Marike näher an den Kopf des Toten heran. Sie wollte die Stirn begutachten, um ihren Verdacht zu überprüfen. Sie fand den kleinen Einstich auf der Stirn schnell. Sie nickte grimmig, denn damit war klar, dass Herr Prütz die Figur des Kaufmanns im makabren Totentanz war. Wieder durchflutete sie Dankbarkeit, dass ihr Vater noch lebte. Sie hasste sich dafür.
Stimmen drangen aus der Kemenate. »Der alte Segeberg? Nein, wie scheußlich! Er muss doch sicher schon achtzig sein.«
Marike wechselte einen Blick mit Frederik, dann gingen sie hinüber zur Kemenate. Hier fanden sich einige wenige Herren mit ihren Frauen. Die einflussreichen Herrschaften wirkten beinahe wie Schafe, die sich in einem Unterstand zusammendrängten. Oldesloe und Lyseke waren nicht zu sehen, doch Marike erkannte den Flottenkommandant Ulrich Cornelius. Die Stimmung war gedämpft, die Gesichter sprachen von lähmender Furcht. »Was ist mit dem alten Segeberg?«, fragte sie.
»Jungfer Pertzeval«, begrüßte Cornelius sie leise. »Herr Oldesloe ist kurz in einer Besprechung. Wo ist Euer ehrenwerter Herr Vater?« Er zögerte, dann setzte er nach: »Es geht ihm gut, hoffe ich?«
Marike nickte abwesend. »Ja, es ist nur die Arbeit.« Nachdem der hier ebenfalls bekannte Frederik die Herrschaften und die Dame ehrerbietig begrüßt hatte, wiederholte Marike ihre Frage. »Herr Cornelius, was ist mit dem alten Segeberg?« Der Greis war immer freundlich zu ihr gewesen.
»Er ist … krank.«
»Oh«, erwiderte Marike bedrückt. »Krank« konnte in diesen Zeiten nur eines bedeuten – er hatte die Pest. Sie bekreuzigte sich.
»Die junge Pleskow auch. Sie haben ihr die Kinder weggenommen, damit die nicht auch krepieren müssen«, murmelte eine rundliche ältere Frau. »Dabei hat sie vor vierzehn Jahren schon die erste Familie und den Bruder verloren.« Sie seufzte und schob sich
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