Das Mädchen und der Schwarze Tod
der Oldesloekapelle.«
»Ein Buch aus schwarzem Holz?«, wiederholte Marike ungläubig. Als Notke nickte, wies sie gen Dornse. »Das habe ich bei meinem Besuch vor ein paar Tagen hier in Oldesloes Schreibkammer gesehen! Darin war eine grässliche Kreatur mit Schlangenleib und Hörnern -«
»... und einem Bart?«, ergänzte Notke. Er nickte. »Das ist es.«
»Der Flötenspieler hatte dasselbe Zeichen auf der Brust«, fügte Marike hinzu. »Aber dass er damit zusammenhängen muss, das wussten wir ja schon.«
»Ihr scheint die Brust dieses Mannes ja von Nahem gesehen zu haben, Jungfer Marike«, meinte Notke gepresst. Marike wich seinem Blick schuldbewusst aus. »Sein Hemd stand offen.«
»Verstehe.« Doch seine Stimme strafte seine Worte Lügen. Marike ignorierte den mitschwingenden Vorwurf und ging nachdenklich auf und ab. Also hatte die Bruderschaft tatsächlich etwas mit dem Schlangengötzen zu tun. Und sie hatte noch gedacht, dass sie den Fluch in dieses Haus getragen hatte! Umgekehrt wurde ein Schuh daraus. »Wir müssen an das Buch herankommen. Können wir jetzt da hinein?«
»Nein, eben arbeitete dort noch ein Knecht von Oldesloe.«
»Dann muss ich erst zu Lyseke hoch. In jedem Fall müssen wir an der Magd vorbei.« Der nachdenkliche Ausdruck auf Notkes Gesicht ließ sie innehalten. »Was geht Euch durch den Kopf?«
»Ich wüsste da vielleicht einen Weg, Jungfer. Aber er wird Euch nicht gefallen.«
»Warum sollte er mir nicht gefallen, wenn er uns doch weiterhilft?«, fragte Marike verwirrt.
»Die Magd hat mir mehr als einmal unkeusche Blicke zugeworfen«, eröffnete der Maler.
»Alberte? Ja, das ist mir aufgefallen.« Marike konnte es der Magd nicht verdenken. Der schlanke Maler sah in seiner grünen Tracht trotz der Tage im Kerker aus wie ein junger Fürst.
»Ja. Sie sieht heute bedrückt aus, aber sie wegzulocken ist sicher kein Problem. Wenn Euch das nicht stört.«
Der Gedanke gefiel Marike überhaupt nicht. »Ihr wollt mit ihr … sündigen?«, fragte sie ungläubig. »Wie könnt Ihr nur daran -«
»Reden, nicht sündigen«, korrigierte Notke. »Vielleicht braucht sie nur jemanden zum Zuhören. Im schlimmsten Fall kommt es zu ein wenig Neckerei. Etwas, das ich mit einer anständigen Frau natürlich niemals tun würde«, setzte er schnell hinzu. »Schon gar nicht in Zeiten wie diesen. Es wird nichts geschehen.« Er hob die Schwurhand und legte sie aufs Herz. »Vertraut Ihr mir?«
Seine weichen Augen versprachen Zuneigung und Ehrlichkeit. Marike las darin, dass er sie nicht verletzen würde. »Ja«, murmelte sie widerwillig. »Ich vertraue Euch.« Doch das hieß nicht, dass sie diesen Plan mochte.
»Gut. Dann machen wir es so. Ihr solltet kurz in die Kemenate zu den Herrschaften gehen, Euch dort zeigen. Ich locke derweilen die Magd heraus in den Hof an einen Ort, wo man mich von der Kemenate aus nicht sieht. Ihr könnt frei hinauf zu Jungfer Lyseke gehen, und vielleicht können wir hinterher nach dem Buch suchen.« Er lächelte Marike an. »Ich wünsche Euch Glück!«
Widerwillig gesellte sie sich zu der Gesellschaft in die Kemenate. Sie überbrachte Anton Oldesloe das Mitgefühl ihres Vaters und lauschte mit halbem Ohr auf die Reden der Herrschaften hier. Doch die Fröhlichkeit wirkte noch immer gezwungen. In den Gesichtern der Leute stand heimliche Angst geschrieben.
Die Minuten vergingen nur langsam, und das Einzige, was Aufsehen erregte, war die Glocke von Sankt Marien. Sie schlug wie gewohnt zur mittäglichen Sixt. Doch kaum war der satte Klang verhallt, schlug die große Glocke noch einmal leiser. Und dann ein zweites Mal. Die Gesellschaft horchte auf und sah sich an. Dann scherzte Cornelius: »Na, ist Krontorp besoffen am Glockenstrang eingeschlafen?« Niemand lachte lauter als Anton Oldesloe. Schließlich sah Marike Notke mit Alberte auf dem Hof. Sie entschuldigte sich leise zum Abort. Ihre Abwesenheit würde diesen Leuten kaum auffallen.
Marike schloss leise die Tür hinter sich und schlich in weichen Lederschuhen die Stufen der Wendeltreppe hinauf. Schließlich kam sie unbehelligt auf die erste, dann auf die zweite Speicherebene. Hier hatte Lyseke eine eigene Kammer. Darüber schlief das Gesinde, darunter der Vater.
Wehmütig rief Marike sich ihr Gespräch auf der Bursprake in Erinnerung. Lyseke hatte Marike versprochen, immer ihre Freundin zu bleiben. Und umgekehrt hatte Lyseke sie beschworen, sich immer treu zu bleiben. Aber wie viel war seitdem geschehen, das sie beide
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