Das Mädchen und der Schwarze Tod
stirbt. Doch wer sündigt, trägt im nächsten Leben eine schwere Last, die dem erspart wird, der reinen Gewissens ist. Euer Eheweib wird das sicherlich wissen.«
»Ach, lasst mein Weib aus dem Spiel«, knurrte Oldesloe nun, obwohl er das Thema selbst aufgebracht hatte. »Notke, Ihr habt noch niemals einen geliebten Menschen verloren, oder? Dann wüsstet Ihr, dass das Gerede vom Heil in der nächsten Welt einem nicht über den Verlust in dieser hinweghilft! Und was ist das auch für ein Trost? Sicher, die Priester sagen, dass es dem geliebten Menschen schon gut geht, wenn man nur ausreichend dafür zahlt und fest daran glaubt. Was sollen die Kirchenmänner auch sonst sagen – dass es völlig egal ist, was wir in diesem Leben tun? Dann bekämen sie keine Spenden mehr, dürften keine Messen lesen, keine Altäre verwalten, wir müssten keine Kirchen mehr bauen und bräuchten am Ende gar keine Gottesmänner mehr. Aber habt Ihr die Pest gesehen, die einen Priester verschonte? Oder ein unschuldiges Kind, das noch nicht einmal einen sündigen Gedanken hätte fassen können? Habt Ihr gesehen, dass eine Messe zur Reinigung der schlechten Luft jemanden davor bewahrt hätte, krank zu werden? Ich habe das noch nicht gesehen, Meister Notke!«
Der Maler besaß nicht die Überzeugungskraft, dagegen zu argumentieren. Was hatte der Tod auf dem Totentanz der Spielleute noch zu dem Kind gesagt? Gott weiß, warum er mich pfeifen schickt, und wen er ohn Sünd zu sich entrückt. Er hoffte und betete, dass das stimmte. Doch restlos überzeugt war er wohl nicht. Das zeigte ihm, dass Oldesloe und er offenbar ähnlichere Ansichten besaßen, als ihm lieb war. Hatten diese Zweifel den mächtigen Mann zu seinen Taten getrieben? Er wusste es nicht. Immerhin stellte Notke fest, dass Oldesloe den Ablass nur zur Beruhigung seiner Blasiusbrüder gekauft zu haben schien – denn er selbst glaubte an diesen schnellen Weg zur Erlösung offenbar ebenso wenig wie der Maler selbst.
»Nein, Notke«, fuhr der bullige Ratsherr fort, »der Tod ist ein Monster, das gezähmt werden muss! Und die Priester wissen das auch! Deshalb huren sie mehr in der Stadt herum als die Schiffsleute und schlagen sich die Bäuche voll, bis die Soutanen platzen. Der Domherr Paulus zum Beispiel, den man jüngst vor seinem Haus erschlagen hat …« Auf Oldesloes Lippen zeichnete sich ein verächtliches Lächeln ab. »Der Mann hat auf dem Boden der Domkurie regelrecht ein Hurenhaus betrieben. Und glaubt nicht, dass die Kundschaft nur aus unheiligen Männern bestanden hätte …«
Notke beschloss innerhalb eines Herzschlages, alles auf eine Karte zu setzen. Er senkte die Stimme zu einem Flüstern und fragte leise: »Sein Tod – das war doch die Bruderschaft, oder, Herr?«
Oldesloe nickte selbstzufrieden, bevor er sich bei der Geste ertappte. Als er merkte, was er sich gerade hatte entlocken lassen, verengte er die Augen zu Schlitzen und funkelte Notke an. Doch es war zu spät, und das wusste auch der Ratsherr. »Er hatte es nicht besser verdient.« Dem Maler stockte der Atem, und er beschloss, noch einen Schritt weiter zu gehen. Immerhin glaubte Oldesloe, dass Notke sein willfähriges Werkzeug geworden war, seit er mit einem Bein in der Fronerei stand. »Warum? Weil er ein Hurenbock war?«
Jetzt wandte sich ihm der Ratsherr ganz zu. Er stand mit seiner Masse unangenehm nahe. »Ihr wollt wissen, warum?« Der Maler nickte, auch wenn ihm sämtliche Haare zu Berge standen. Er musste den Kopf in den Nacken legen, um zu dem Ratsherrn hochschauen zu können. Wer weiß, vielleicht war der Mann sogar in der Lage, jemanden mit bloßen Händen zu erwürgen oder einem das Genick umzudrehen … Doch Notke unterdrückte diese Bilder. Wenn er den Mann überführen und bloßstellen wollte, musste er bleiben und einen kühlen Kopf bewahren.
»Dann müsst Ihr vorher etwas für mich tun«, sprach Oldesloe mit einem freundlichen Lächeln.
»Was?«, fragte der Maler halbherzig. Doch Oldesloe kam nicht mehr dazu, ihm eine Antwort zu geben. Notke fühlte sich an der Hand ergriffen und herumgewirbelt – zum Takt der Musik. Die Tanzenden hatten sich inzwischen teils aus Erschöpfung, teils aus Trunkenheit in kleinere Grüppchen aufgeteilt oder auf die Bänke fallen gelassen, um sich weiter den Bauch mit Köstlichkeiten vollzuschlagen. Nicht so die Kaiserin Gruber, die Notkes Handgelenk fest im Griff hatte und ihn zu der flotten Tanzmusik durch die Diele schleifte – zwei Schritt rechts, zwei
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