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Das Mädchen und der Schwarze Tod

Das Mädchen und der Schwarze Tod

Titel: Das Mädchen und der Schwarze Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
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fuhr Notke den Rücken hinab.
    Herr Cornelius saß in einer Gruppe von Männern und klopfte sich auf die Schenkel, während er eine Frau mit Witwenhaube und dunklem Kleid anfeuerte, die gerade einen hohen Krug mit Starkbier auf einen Zug zu leeren versuchte. Als das Bier in Strömen rechts und links von ihrem Mund vorbeifloss und ihr gutes Kleid aus italienischer Seide durchweichte, brach das Grüppchen in schallendes Gelächter aus. Schließlich setzte die Witwe ab, präsentierte den leeren Krug triumphierend und stimmte mit ein. Bernt zog erstaunt die Augenbrauen hoch, denn es handelte sich um die reiche Witwe Gruber, die ihrer Mitgift wegen von vielen Männern umworben wurde. Sie schwankte bereits betrunken, doch sie rief gackernd nach einem weiteren Krug. Anderswo reizte eine andere Gruppe einen ausgewachsenen Löwen in seinem Eisenkäfig mit Stangen und Happen von der Tafel.
    »Meister Notke, nur herbei!«, polterte Oldesloe, der mit einigen Männern, darunter Bürgermeister Wittik, ein wenig abseits saß. »Steht dort nicht so herum, Mann! Ist mein Bild endlich fertig?« Der Ratsherr wendete sich zu den Männern in seiner Runde um. »Dies ist nämlich der junge Maler, der uns den Totentanz in Sankt Marien malt! Notke, dies ist Andreas Geverdes aus Magdeburg, ein Ratsherr und Zirkelbruder. Er hat seinen Blick fest auf das Bürgermeisteramt geheftet, was, Andreas?« Die Zirkelbruderschaft war der Kreis der angesehensten Ratsfamilien der Stadt.
    »Nun lasst uns erst mal die nächsten paar Monate überstehen«, sagte der jüngere Mann mit weicher Stimme. Er hatte ein angenehmes Äußeres, obwohl er das gute Essen und Leben offenbar ein wenig zu sehr genoss. »Wenn Gott will. Notke«, er prostete dem Maler mit dem Bierkrug zu.
    Bernt deutete eine Verbeugung an und gab dem Mann insgeheim recht, doch Oldesloe lachte laut auf. »Nun mal nicht so finster, Mann! Wir wollen feiern! Wer weiß, wie lange wir das noch können. Notke, nicht so förmlich! Holt Euch einen Krug Bier oder Wein, wenn Ihr wollt! Genießt das Leben!«
    »So kurz es währt!«, lachte die Witwe schrill von der Tafel, bevor sie wieder zum Zug ansetzte.
    Also tat Notke, wie ihm geheißen. Er griff sich einen Krug, trank ein wenig und schlenderte dabei durch die Menschen, die sich im ganzen Obergeschoss verteilten. Es war nicht so, dass er keinen Spaß an einer ausgelassenen Feier hätte – im Gegenteil, er hatte selbst schon an so mancher teilgenommen. Ihn selbst verlangte es jetzt jedoch eher nach Stille. Er war verliebt und wollte die Trunkenheit der Gefühle genießen. Wann wäre wohl der rechte Zeitpunkt, mit dem Ratsherren Pertzeval über Marike zu sprechen? Das wollte gut bedacht sein, denn er wollte die Gutwilligkeit seines zukünftigen Schwiegervaters nicht mit seiner Ungeduld verspielen. Natürlich durfte er daran erst denken, wenn die Pest vorbei wäre und Oldesloe im Gefängnis säße.
    Zurück im Saal stellte er fest, dass das Trinkspiel mittlerweile aufgehört hatte. Ein Teil der Feiernden hielt eine Art Wahl ab. Notke griff sich ein helles Stück Brot vom Tisch und tunkte es in das Fett des Schweinebratens in der Mitte des Tisches. Er war hungriger, als er bemerkt hatte. Also griff er sich noch einen Hühnerschenkel. Derweilen brach die Menge in Jubel aus, als habe sich etwas Großartiges ereignet.
    »Lang lebe die Pestkaiserin!«, triumphierte der junge Gerald Samer, der vorhin mit Knochen um sich geworfen hatte, und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, sodass das Silber und die Schalen aus purpurrotem böhmischen Jaspis auf dem Holz tanzten. Die Witwe Gruber stand im Mittelpunkt des Geschehens und schlug geschmeichelt die Hände auf den Busen. Jemand hatte aus Äpfeln und spitzen Hühnerknochen eine Art Krone zusammengesteckt und platzierte diese nun auf ihrem Haupt. Beifallrufe und -geklopfe auf dem Tisch brandete auf. Ein ähnliches Kunstwerk zierte auch schon das Haupt eines eher befangen wirkenden Mannes – einen Kaiser hatte man offenbar schon gefunden. Die frisch gekürte Kaiserin fing auch flugs an, ihr Amt auszuüben. Sie schickte nach einem Becher Wein, befahl sich einen jungen Mann als Sitzbank her, gab Audienzen und befahl schließlich ihre Gefolgschaft zum Tanz. »Branle!«, rief sie, und die Spielleute gehorchten. Mit durchgefassten Händen und hastigen Seitschritten wurde der Reigen immer größer, während die Musiker den Takt mit ihren Schellenbändern stampften und mit Flöte und Fiedel ein schnelles, munteres

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