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Das Mädchen und der Schwarze Tod

Das Mädchen und der Schwarze Tod

Titel: Das Mädchen und der Schwarze Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
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Vielleicht erhaltet Ihr den ersten Preis – einen Kuss der Pestkaiserin!« Die letzten Worte schrie sie heraus. Dann begann zum Rhythmus der fröhlichen Musik ein fremdartiger Tanz. Die Witwe spitzte die Lippen und kam mit Schmatzgeräuschen auf Notke zu. Der wehrte sie mit dem Schemel ab und versuchte, sie in Richtung auf die Vordertür zu treiben, doch die Witwe brach aus und suchte sich ein neues Opfer, dieses Mal den jungen Konrad Samer, der wie ein Ferkelchen quietschte und um den Tisch herum floh. Die Witwe schien wie besessen. Sie stand niemals still, gackerte toll oder plapperte wirr vor sich hin. Endlich schien die Frau müde zu werden und ließ sich von einer mit Hockern und Stöcken bewehrten Phalanx in die Enge treiben, sodass man sie in die Akzisekammer sperren konnte. Man schickte einen Knecht zur Fronerei, damit sie mit Karren und Käfig abgeholt werden konnte.
    Nach dieser etwas ungewöhnlichen Schlacht an der Speisetafel herrschte im Danzelhus das Chaos: Äpfel, Bratenstücke, Schüsseln, Krüge und Kerzenständer waren im Saal verstreut, die Witwenhaube lag zwischen den Knochenresten. Schließlich kehrte das Gesinde zurück, das sich in die Kriegsstube hinter dem Langen Saal geflüchtet hatte. Bernt Notke sammelte einen Kelch und einen Hocker auf, füllte Ersteren mit Wein und ließ sich auf Zweiteren fallen. Sie alle hatten den Abend in wechselnder Nähe zu der Frau verbracht. Jeder von ihnen konnte sich die Pest geholt haben. Er lächelte bitter. Nun unterschied er sich nicht mehr von Marike, die am Mittag bei der Freundin Lyseke ihre Gesundheit riskiert hatte. Er kippte den guten Rotwein herunter, um den üblen Geschmack aus der Kehle zu waschen.
    »Was für eine Furie!«, polterte Anton Oldesloe mit leuchtenden Augen und stapfte durch den Raum zu Notke hinüber. »Zwar hatte ich mir Euren ersten Tanz in der Lübecker Gesellschaft weniger … kämpferisch vorgestellt«, schmunzelte er, »doch so macht Ihr bestimmt über kurz oder lang Geschichte.« Er lachte schallend. »Unvergleichlich! Heda!« Er wandte sich den wieder verstummten Musikern zu. »Spielt auf! Der Abend ist noch jung!« Und die Musiker spielten.
    Notke schüttelte ungläubig den Kopf.»Kümmert Euch nicht, dass sie uns vielleicht alle in den Pesttod schickt, Oldesloe?« Zu spät erinnerte er sich an die kranke Tochter des Mannes. Die Frage ernüchterte den Ratsherrn, doch er zuckte nur mit den breiten Schultern. »Noch ist das letzte Wort nicht gesprochen, Notke. Wartet’s doch einfach ab. Vielleicht werdet Ihr gar nicht krank.« Auch Oldesloe griff sich einen Weinkelch und zog eine Sitzgelegenheit heran, um sich seufzend darauffallen zu lassen. Im Hintergrund lachten die Gäste schon über die jüngsten Geschehnisse und nahmen die Feier da wieder auf, wo sie unterbrochen worden war – mit der Ausnahme, dass sie nun zur Wahl einer neuen Pestkaiserin schritten. Wenig später thronte die zum dritten Mal zusammengesteckte Apfelkrone über Frau Gernses vor Freude gerötetem Antlitz.
    »Also, Ihr wollt wissen, warum Domherr Paulus sterben musste?«
    Notke krampfte seine Hand um den Kelch und nickte nur. Oldesloe beugte sich vor und winkte ihn näher zu sich heran. Dann flüsterte er: »Vorher müsst Ihr aber noch etwas für mich tun, Freimeister. Damit könntet Ihr Euch auch gleich erkenntlich dafür zeigen, dass ich für Eure Freilassung meinen Ruf riskiert habe.«
    Jetzt war es also so weit. Oldesloe würde seine Schulden einfordern. Der Maler räusperte sich, weil seine Kehle ganz trocken war, und meinte: »Was wäre das, Herr Oldesloe?«
    Der bullige Mann griff sich einen Hühnerflügel, biss ein Stück ab und wies mit dem vor Fett glänzenden Zeigefinger auf Gerald Samer, der den schläfrigen Bürgermeister Wittik mit einer langen Rede zu langweilen schien.
    »Was ist mit Samer? Ich soll ihm doch wohl keine Manieren beibringen? Das wäre ein aussichtsloses Unterfangen«, meinte Notke trocken.
    »Ich will, dass er einen Unfall hat, der ihn dem Tod in die Arme treibt«, sprach Oldesloe ruhig.
    Notke verschlug es die Sprache. Der Satz hallte in seinem Kopf wider und verdrängte alle klugen Gedanken, die er hätte hegen können. Schließlich, Notke wusste nicht genau, wie viele Herzschläge vergangen waren, stotterte er: »Ich – ich soll …«
    »Gerald Samer töten, sodass es aussieht wie ein Unfall«, bestätigte der Ratsherr mit genüsslichem Schmunzeln. »Tatsächlich ist es relativ egal, ob es Samer ist oder nicht. Ein

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