Das Mädchen und der Schwarze Tod
Schritt links, rechts geschwenkt, links geschwenkt, und von vorn. »Schwingt Eure Beine, mein Knecht«, lachte die Witwe gackernd. »Eure Kaiserin will sehen, was Ihr zu bieten habt!« Die Frau wirbelte mit rotem Kopf und albernen, ruckartigen Bewegungen vor ihm weg, sodass Notke, der zu bremsen versuchte, ganz schwindelig wurde. Schließlich bekam der Maler Halt unter den Füßen und stemmte sich gegen die Witwe, die nun ihrerseits strauchelte und dabei kicherte.
»Hups! Ihr seid ein stürmischer Dienstbote, das seid Ihr!« Sie taumelte ihm in die Arme und hängte sich trunken an ihn.
»Mit Verlaub, Frau Gruber, gegen Euch bin ich doch nur ein laues Lüftchen«, keuchte Notke, während er mit beiden Armen versuchte, die Frau auf die Bank zu schleifen. Dabei sah er ihr in die glasigen Augen, die unruhig hin und her zuckten. Sicher, sie hatte viel getrunken, doch seit dem Erlebnis mit Schmied Lynow war der Maler misstrauisch geworden. »Nein«, murmelte sie gurrend, »nicht aufhören, ich will tanzen! Und mein Wille ist Befehl! Ich bin die Kaiserin!« Schließlich gelang es Bernt trotz ihrer Gegenwehr, die Witwe halbwegs stabil auf die Bank zu setzen. Er strich ihr die Haarsträhnen zurück, denn die Witwenhaube war längst mit der Apfelkrone verloren gegangen. Am Halsansatz zur Schulter war der Hals aufgekratzt. Auf der geröteten Haut saßen drei linsengroße Schwellungen. Unwillkürlich trat er einen Schritt zurück.
»Ihr seid krank, Herrin«, sprach er dann heiser. »Ihr solltet ruhen.«
»Ich will nicht ruhen! Keine Krankheit der Welt kann mich heute davon abhalten zu tanzen!« Sie fläzte sich aufreizend rückwärts halb auf den Tisch. »Oder zu vögeln.«
»Herrin!«, entfuhr es Notke. »Ist Euch denn gar nichts heilig? Jemand anderes könnte sich bei Euch den Tod holen!«
Die Frau glotzte ihn mit den unruhigen Augen an, und das Lächeln erstarrte auf ihren Zügen. Die Linien in ihrem Gesicht wirkten hart, und Notke hatte für einen winzigen Moment den Eindruck, bereits auf eine Totenmaske zu schauen. »Ganz Lübeck ist bereits dem Tod verschrieben«, hauchte sie. »Was geht mich an, wer sich wo die Pest holt? Wir sind doch alle bereits tot!« Sie begann lauter zu lachen, sodass ihr halb entblößter Busen wackelte. Notke fuhr ein Schauer über den Rücken. Selten hatte er ein freudloseres Geräusch gehört. Schließlich lachte die Kaiserin und kreischte durch den Saal: »Wir sind alle tot! Wir alle! Und wir tanzen, tanzen trotzdem wie die Lebenden, denn solange wir tanzen, kann uns der Tod nicht holen!«
Nun sprang auch der letzte Gast auf die Füße, und die Musik verstummte. Unruhige Stille legte sich über den reich geschmückten Raum. »Ich glaube, sie hat die Pest!«, warnte Notke. Bei dem Wort wichen die Leute zurück. »Sollten wir sie nicht ins Spital schaffen?«, fragte der Maler in die Runde. Die Menschen zögerten. Niemand wollte feige erscheinen. Doch sein Leben für den Anschein von Mut riskieren wollte auch keiner.
Derweilen sammelte die Pestkaiserin die Äpfel wieder zusammen und steckte sich die nur ungenügend instand gesetzte Krone aufs Haupt. Dann erhob sie sich. »Niemand schafft mich irgendwo hin«, verkündete sie mit steifem Nacken. »Und niemand legt Hand an mich! Ich will tanzen! Kommt! Spielt auf, Spielleute!« Die Musiker gehorchten, und dann tanzte die Witwe Gruber, obwohl sich niemand freiwillig zu ihr gesellte. Also taumelte sie erneut in Bernt Notkes Richtung und kollerte in lauter Vorfreude: »Wart’ nur, du böser Knecht! Ich komm’ und hol’ dich!« Ihre Wangen waren gerötet, das Gesicht zu einer grinsenden Maske verzogen, während in ihren Augenwinkeln Feuchtigkeit schimmerte.
Der Maler wich zurück und sah sich um. Er griff nach einem umgestürzten Hocker und hielt ihn wie einen Schild vor sich, um die Frau von sich fernzuhalten. Schließlich fand er noch schnell ein Kohleeisen beim Ofen. Dann beschwor er die Witwe: »Dieser Tanz ist vorbei, Frau Gruber! Ihr solltet hier nicht herumlaufen und Euch verausgaben. Geht! Draußen bei Sankt Gertrud hat man ein weiteres Pestlager eingerichtet. Dort wird man sich um Euch kümmern. Ihr riskiert das Leben aller hier.«
»Vielleicht will ich das ja«, gurrte die Frau und strich sich kokett eine graue Strähne hinter das Ohr. Dabei geriet die Apfelkrone auf dem Scheitel ins Wanken. »Ich liebe gute Gesellschaft! Warum sollte ich da alleine sterben?« Sie lachte hohl. »Also kommt doch und fangt mich, schöner Knecht!
Weitere Kostenlose Bücher