Das Mädchen und der Schwarze Tod
Knecht in die Kemenate des Pertzevalschen Hauses geführt wurde, erschien ihm plötzlich alles so platt. Bislang hatten die innigen Momente mit Marike stets abseits der Gesellschaft stattgefunden. Er rückte das flache kleine Paket unter dem Arm zurecht, das er sorgfältig in ein Leinentuch eingeschlagen hatte.
Die Jungfer saß auf der Bank in der Kemenate und las in einem kostbaren alten Buch – die »Legenda Aurea«, wie Notke den Illuminationen nach mutmaßte. Sie trug ein rotes enges Kleid mit weitem Rock und goldbesetztem Halsausschnitt, das aussah, als wäre es für einen sehr feierlichen Anlass geschneidert worden. Auf der Hüfte saß ein goldener Gürtel, an den Schultern hingen weite gezaddelte Überärmel aus Goldbrokat. Darunter ragten die schwarzen Ärmel des Unterkleides hervor. Ganz modisch wirkte das Gewand nicht, aber es war ja nicht unüblich, alte Gewänder aufzutragen. Er fand, dass es nicht Marikes Stil entsprach – sie bevorzugte gedeckte Kleider. Um ihren Hals lag eine Bernsteinkette, deren Anhänger unter dem Ausschnitt verborgen lag, an ihrer Brust prangte eine Anstecknadel, die nur aus einem Paar glotzender Augen zu bestehen schien.
Bernt Notke hatte nicht genau darüber nachgedacht, was er ihr sagen, was er tun wollte. Er wusste nur, dass dies der Augenblick war, in dem nichts schiefgehen durfte. Aus Oldesloes Zwickmühle konnte er nicht allein entkommen. Marike wusste viel mehr über den gewissenlosen Ratsherrn und konnte ihm vielleicht einen Ausweg aufzeigen.
»Jungfer Pertzeval«, grüßte er, denn der Knecht war noch anwesend.
»Herr Notke«, nickte Marike.
Ihr blasses Gesicht war noch blasser, fand der Maler, und das beunruhigte ihn. Doch als er in ihre schönen, klaren Augen sah, da erschrak er. Der verträumte Ausdruck darin, der Blick in die Ferne, den sie so oft trug, war verschwunden. Stattdessen lag darin eine Verstörtheit, die er bei ihr noch nie gesehen hatte. Es war beinahe, als säße eine Fremde vor ihm. Was mochte geschehen sein?
»Geht es Euch gut, Jungfer?«, fragte Notke.
»Es geht mir gut, Herr Notke«, erwiderte Marike hölzern.
»Ich muss Euch sprechen«, bat er dann mit einem kaum merklichen Seitenblick auf den Knecht. Der schnaubte nur, denn es gab kaum etwas Schickliches, das ein junger Mann und eine junge Frau ohne Aufsicht miteinander besprechen konnten. Doch Marike willigte schließlich ein.
»Hinrich, warte in der Diele und lass die Tür offen. Du kannst dich ja so setzen, dass du hereinsehen kannst.« Der Knecht gehorchte widerwillig. Die Jungfrau blieb aufrecht auf der Bank in der guten Stube sitzen, als habe sie einen Besenstiel verschluckt. Bernt fühlte sich an eine der aus Stein geschlagenen Heiligen am Lettner von Sankt Marien erinnert.
»Wo ist Alheyd?«, fragte er höflich.
»Fort.«
»Wie fort – ganz fort?«
Marike nickte nur.
»Oh. Das sieht ihr gar nicht ähnlich.« Er hatte mit etwas Unverfänglichem beginnen wollen. »Ein schönes Kleid«, lobte er nun. »Sehr prachtvoll. Wollt Ihr auf eine Festlichkeit?«
»Es ist noch für meine Mutter gemacht worden«, murmelte die Jungfer. »Ich habe es noch nie angehabt. Jetzt schien die Zeit dafür gekommen.«
»Ah«, machte Notke wenig intelligent. Er stand da und rang um Worte. Also setzte er sich erst einmal auf die Truhe an der Wand gegenüber und holte tief Luft.
»Ich brauche Eure Hilfe, Jungfer Marike«, setzte er vorsichtig an. »Ich habe mich vorgestern wie ein Narr benommen, als ich Euch in der Kirche so stehen ließ. Ich bitte um Vergebung dafür. Doch ich hatte meine Gründe. Ich wollte Euch schützen.«
»Wie gut von Euch.«
Notke schien es, als hätte sie ihn gar nicht so recht verstanden. Er war froh, das Paket unter dem Arm zu haben, an dem er sich festhalten konnte. »Es war Anton Oldesloe«, gestand Notke nun schweren Herzens.
Bei diesem Namen erwachte die Jungfer Pertzeval aus ihrer Erstarrung. Ihr Blick wurde unruhig. »Was ist mit ihm?«, fragte sie schnell.
»Er will, dass ich etwas für ihn tue.« Notke war nur froh, dass sie endlich auf das reagierte, was er ihr sagte. Doch immer noch schien eine Mauer zwischen ihnen zu stehen. Er wusste nicht, wie er ihr das alles erklären sollte. »Marike«, fuhr Notke fort, »Oldesloe will, dass ich für ihn meine Hände in Blut tauche. Er will, dass ich für ihn töte. Aber zum Teufel mit ihm!«, fügte er bitter hinzu. »Wir müssen den Mann endlich vor das Hochgericht bringen, damit das alles ein Ende hat, sonst …«,
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