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Das Mädchen und der Schwarze Tod

Das Mädchen und der Schwarze Tod

Titel: Das Mädchen und der Schwarze Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
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Ihr ihn behaltet«, flüsterte er. »Teilt Euer Leben mit mir, Marike. Ich bitt’ Euch – lauft nicht vor mir weg!« Und als sie ihn mit ihren Sternenaugen ansah und ein zartes Lächeln ihre Lippen kräuselte, da wusste Notke, dass sich ihre Gefühle für ihn nicht geändert hatten.
    »Meint Ihr nicht, dass Ihr ein wenig vorschnell handelt, Notke?«, schnitt von hinten die heisere Stimme Johannes Pertzevals dazwischen. Notke schreckte zurück, ließ den Paternoster aber in Marikes Händen.
    »Marike!«, ereiferte sich ihr Vater nun hustend. »Ich dachte, ich hätte dich besser erzogen!« Der dürre Alte kam nun in die Kemenate herein und musterte den Maler über die Ränder seiner Augengläser hinweg. Doch bevor er weiterschimpfen konnte, überkam ihn ein Hustenkrampf. »Und Ihr!« Er schlug die Luft mit dem Handrücken, doch Notke hatte keinen Zweifel, dass er ihn geohrfeigt hätte, wenn er näher gestanden hätte. »Ihr schleicht Euch in mein Haus und versucht, mir meine Tochter zu rauben! Mit süßen Worten und Euren – Euren Schlichen!« Der Blick Pertzevals fiel auf das eingeschlagene Bild. »Und mit Liebesgaben!« Er trat näher und riss Marike das Bild vom Schoß, verstummte aber, als er des Motivs ansichtig wurde.
    Die Reaktion war auch dieses Mal unverhofft. Johannes Pertzeval schleuderte Notke sein Werk nicht entgegen. Er betrachtete es versonnen und verstummte. Dann streichelte er mit den Fingern die Kante des Bildes. Schließlich riss er sich beinahe gewaltsam davon los. »Marike, gib ihm seinen Rosenkranz zurück.« Die Tochter gehorchte sofort, ohne auch nur zu ihm aufzusehen.
    »Und Ihr«, Pertzevals Stimme hatte nun einen leisen und sehr gefährlichen Tonfall angenommen, »verlasst mein Haus. Sofort. Und setzt nie wieder einen Fuß herein!«
    Notke verneigte sich betreten in Marikes Richtung und nickte dem Vater zu, dann ging er rückwärts aus der Kammer. Erst draußen auf der Straße hielt er wieder inne und atmete tief durch, denn er hatte das Gefühl zu ersticken. Dies war der Tag, an dem allem Elend zum Trotz sein Glück hätte beginnen sollen. Stattdessen war nun sein Unglück besiegelt. Er blinzelte zornig die Feuchtigkeit aus seinen Augen, bevor er sich umwandte, um Abschied zu nehmen. Das alte Haus stand hier sicherlich über hundert Jahre. Es würde vermutlich noch viele Hundert Jahre hier stehen und Zeuge von Glück, aber auch von Leid werden. Notke wusste, wie er diese Mauern in Erinnerung behalten würde – mit Schmerz und süßer Hoffnung. Gerade wollte der Maler sich abwenden, da sah er Johannes Pertzeval in der Dornse auftauchen. Durch die Butzenglasscheiben hindurch sah er, wie der Mann das Bild betrachtete und dann in eine Truhe wegsperrte.
    Plötzlich sah der alte Mann aus dem Fenster. Ihre Blicke trafen sich. Notke vergaß vor lauter Schreck seinen Schmerz. Denn in den Augen des Alten war nicht die Wut eines Vaters zu lesen, nicht die Sorge um sein Kind. In den Augen dieses Mannes sah Notke einen so kalten, wütenden Hass, der ihn bis auf die Knochen erschauern ließ. Bernt Notke kehrte dem Haus der Pertzevals den Rücken. Doch er hatte das böse Gefühl, dass ihn die Augen dieses alten Mannes verfolgten, bis er oben auf der Königstraße hin zu Sankt Marien abgebogen war.

DER JÜNGLING
    Die Sonne senkte sich zum Übergang vom späten Abend zur Nacht vom alten Holstentor her tief über die Stadt und ließ die Schatten länger werden. Es war, als schlösse der Himmel seine Augen über Lübeck. Viele Häuser waren verlassen und vernagelt, die Bewohner entweder geflohen oder verschieden. Die Pestkarren, die frühmorgens ihre grausige Last abholen sollten, fuhren am Abend noch immer durch die Straßen, denn ihre Last wurde nicht geringer. Im Norden der Stadt war die zweite große Pestgrube mit Körpern gefüllt worden. Die einzelnen Schichten der dachziegelartig gestapelten Leichen trennte nicht mehr als eine Schaufel Kalk und zwei Schaufeln Erde. Wegen der Schwüle hing trotzdem süßlicher Verwesungsgestank über der ganzen Stadt.
    Bernt Notke war gestern beinahe den halben Tag über durch die Stadt gelaufen, um den Pfeifer zu finden. Wenn jemand Antworten kannte, dann gewiss er. Doch der Spielmann war nicht einmal im Lager der Fahrenden aufzufinden gewesen. Vielleicht hatte der Mann auch geahnt, dass man ihm auf die Schliche gekommen war.
    In der Marienkirche war es längst so dunkel geworden, dass man Laternen hatte entzünden müssen. Gerade bauten seine Gehilfen die letzten

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