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Das Mädchen und der Schwarze Tod

Das Mädchen und der Schwarze Tod

Titel: Das Mädchen und der Schwarze Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
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wollte hinunter in die Petersgrube, wo er in einem Keller ein Fleckchen zum Schlafen gefunden hatte.
    »Heda«, murmelte Urs, als ihn, noch oben auf dem Petrushof stehend, eine Gestalt anrempelte. Er taumelte zur Seite, weg von seinem eigentlichen Weg. »Saufkopf«, pöbelte er. Dann ging er weiter.
    »Heda!« Schon wieder wurde er angerempelt, und schon wieder taumelte er rechts hinüber. Wenn doch bloß der Boden nicht so sehr schwanken würde! Er wandte sich zu dem Burschen um, doch der war ziemlich flink – zumindest zu flink für Bauer Urs in seinem Zustand. Er sah noch einen schwarzen Mantel und hörte ein lautes Keuchen.
    »Dir komm ich! Dir zieh ich die Beine lang!«, lallte Urs und drehte sich um die eigene Achse, um den Burschen zu finden. Tatsächlich stand der dann vor ihm – und schubste ihn erneut. Wieder stolperte Urs ein paar Schritte zurück. »Verdammich, lass mich in Ruhe!«, brummelte er. Dann kniff er die Augen zusammen, um den Kerl besser zu erkennen. Er war dürr, so viel war klar, und weder sonderlich groß noch kräftig. Und er trug einen Überwurf mit Gugel. »Was willste denn? Such dir’n Weib.« Er hob den Finger in die Luft und wies in eine Richtung, von der er annahm, dass es dort zum Haus der Huren ging – doch er musste sich wohl vertan haben, denn er wies auf den Turm von Sankt Aegidien. Also wies er mit dem Daumen über die Schulter. »Also lass mich in Ruh.« Damit ging er weiter, denn er hatte keine Lust, sich zu streiten. Bier machte ihn stets eher traurig als wütend. Kaum hatte er den Fuß gehoben, trat ihm die Gestalt wieder entgegen.
    Urs stolperte und taumelte auf den äußeren Abschnitt des Petershofes. »Nanu?«, wunderte er sich, denn er hatte nicht gemerkt, wie nahe er der Kante gekommen war. Er ruderte mit den Armen, um sein Gleichgewicht zu halten, doch er spürte an dem flatternden Gefühl in seinem Bauch, dass das vergebens war. Von einem Augenblick auf den nächsten war er nüchtern.
    »Mist«, murmelte er noch, als er sich drehte und fiel. Sein letzter Blick gehörte der verhüllten Gestalt, die ihn gestoßen hatte. Dann stürzte Urs die sicherlich zehn oder zwölf Ellen hinab, die den Petershof über den Kolk erhoben. Er dachte noch an Eve und die Kinder – mit Gottes Hilfe würden sie die Pest vielleicht überleben. Urs starb, als er auf dem Pflaster auftraf.

KAPITEL 15
    D er 13. Tag des Augustmonats, zwei Tage vor Mariä Himmelfahrt, begann schon frühmorgens entsetzlich schwül und stickig. Der Morgen prophezeite einen brütend heißen Mittag. Doch das Leben in der Stadt war bereits seit Tagen nahezu zum Stillstand gekommen. Die Menschen waren geflohen oder setzten keinen Fuß vor die Tür. Nur wenige gingen noch ihrer Arbeit nach oder besuchten gar die Häuser der Kranken, wie etwa der ein oder andere Notar, Priester oder Arzt. Es war beinahe, als läge die Stadt in einem Totenschlaf, denn man sprach nicht einmal mehr miteinander oder traf sich auch nur zufällig. Im Gegenteil, die Menschen mieden sich, wo sie konnten.
    Für Bernt Notke hatte der 13. August eine andere Bewandtnis. Zwei Tage noch, dann sollte sein Totentanz der Gemeinde übergeben werden. Damit war heute auch jener Tag, an dem er für Anton Oldesloe einen Menschen töten sollte. Der Maler war klatschnass, und er wusste, dass ihm der Schweiß nicht nur wegen der Schwüle floss. Er hatte beinahe den Eindruck, dass die Hitze das schlechte Gewissen aus ihm heraustrieb und für jeden sichtbar machte.
    Seit dem Nachttanz im Rathaus vor zwei Tagen mied er die Menschen um sich herum, als hätte er selbst schon die Pest, besonders jene, die ihm nahestanden, wie Marike und ihren Vater. Wenn er nicht arbeitete, wankte er durch die ausgestorbene Stadt wie ein Leichnam. Nein, falsch. Wie ein Mörder. Er konnte nicht anders, als die Menschen um sich herum zu begutachten. Wie ahnungslos und vertrauensselig sie doch waren. Ob sie in das von Oldesloe geforderte Profil passten. Ob sie viel Widerstand leisten würden. Wo sie ein und aus gingen. Und ob sie in diesen Zeiten wohl jemand vermissen würde. Seine Erkenntnisse waren erschreckend.
    Um das alles zu verdrängen, hatte er sich dann in die Arbeit gestürzt. Er wusste nicht, wie viele Leute sich zu Mariä Himmelfahrt in die Kirche trauen würden. Doch den Totentanz musste er beenden. Er hatte ihn nach Oldesloes Wünschen umgestaltet. Besonders die Ständevertreter spiegelten nun im wahrsten Wortsinne das Leben wider. Notke dachte zynisch, dass er dafür

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