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Das Mädchen und der Schwarze Tod

Das Mädchen und der Schwarze Tod

Titel: Das Mädchen und der Schwarze Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
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die Kontrolle zu verlieren.
    Doch genug der Arbeit. Morgen würde die Kapelle mit der Frühmesse geweiht. In den letzten Tagen hatte er den Eindruck gewonnen, dass die ganze Stadt anwesend sein würde, denn die Messen waren rar geworden, und diese wäre die erste, zu der man die Toten betrauern würde. Er brauchte vorher aber noch ein wenig Schlaf. Notke löschte alle Laternen bis auf eine. Die griff er beim Bügel und lenkte seine Schritte durch die Nacht in Richtung seiner Bude. Dort schlief Notke mit Sievert in dem Wohnraum, während die beiden Gehilfen ihre Lager in seiner Werkstatt aufgeschlagen hatten. Der Heimweg durch die stillen Straßen war kurz und doch schwer, denn er musste am Haus der Pertzevals vorbei. Das lag dunkel da – es war ja auch schon spät. Er sendete der Geliebten einen stummen Gruß.
    Ganz in Gedanken lief er in eine Gestalt hinein. Unter einer dunklen Gugel verborgen rammte ihn ein Kerl mit knochiger Schulter keuchend in die Brust, als er an ihm vorbeiging. »Heda!«, rief Notke empört. Der Kerl, der kleiner und dürrer war als er, hielt nicht an. Der Maler schüttelte über so viel Grobheit den Kopf. »Sogar ein Seeschiffer ist nicht so rücksichtslos!«, knurrte er. Dann setzte er seinen Weg wieder fort.
    Endlich erklang das Grollen fernen Donners durch die Nacht. Schwitzend schlüpfte Notke durch den schmalen dunklen Durchgang in den ebenfalls schattigen Fachwerkgang, der sich hinter den Backsteinhäusern verbarg. Ein Poltern ließ ihn in die Dunkelheit lauschen. War das aus einer der Buden gekommen? Ein paar Herzschläge verharrte Notke starr. Nichts regte sich. Dann versuchte er, mit seiner Laterne die Schatten auszuleuchten, doch das Licht vertiefte die Finsternis nur noch. Vermutlich sähe er mehr, wenn er die Laterne löschte und seine Augen an die Dunkelheit gewöhnte. In der Ferne blitzte es kurz.
    Trotzdem ging er mit angespannten Sinnen weiter. Kein Licht erhellte seine beiden Buden. Sievert hatte sicherlich noch einen Abstecher über die Schänke gemacht, nachdem er seine Last hier vor der Tür abgeladen hatte. Noch einmal horchte der Maler auf Geräusche. Doch neben dem aufkommenden Wind und dem Grollen im Hintergrund war nur das Schreien eines Neugeborenen aus den Nachbarbuden zu hören. Also schob er den Riegel auf und gab der Tür einen Stups, sodass sie knarrend aufschwang.
    Im Inneren der Bude begrüßte ihn stickige Dunkelheit mit den vielfältigen Gerüchen von Rost, Leinöl und Farben. Notke betrat sein Heim zum ersten Mal mit aufgestellten Nackenhaaren. Jedes Knacken verriet den verräterischen Schritt eines Mörders, jeder Schatten konnte einen plötzlichen Hinterhalt bergen. Er lugte vorsichtig in die Bude hinein. Alles wirkte verlassen und still. Mit einem letzten Blick durch die Gasse betrat er die Diele und leuchtete hinein.
    Linker Hand lag die kleine Dornse mit der Schlafstatt in der Ecke, die er sich mit Sievert teilte. Noch immer roch es nach Galle, denn der Knecht hatte den Geruch vom gestrigen Morgen nicht vollständig entfernen können. Aufgeschichtetes Stroh lag neben einer Kiste mit Notkes Habseligkeiten und Schreibgerät.
    Er schob sich weiter in den Hauptraum der Bude, in dem auch die Feuerstelle lag. Hier herrschte altvertrautes Chaos, das zwei junge Männer eben so ausrichteten. Die Feuerstelle befand sich hinten links, in der Mitte stand ein flaches Tischchen mit vier Hockern. Hier aßen die Maler üblicherweise. Im ganzen Raum verteilt standen Eimer mit noch nicht angemischten Farben – Faluner Rot, Grünspan und gebrannte Siena -, Leinwände und Leinwand-Reste, Hölzer, die man zu Rahmen zusammennageln konnte – eben alles, was nicht mehr in die Werkstatt nebenan passen wollte. Doch Notke erkannte keine Bedrohung. Er versuchte, das Kribbeln im Nacken abzuschütteln.
    Als der erste Blitz nahe Lübeck in einen Baum krachte, schloss Notke erleichtert die Tür. Dann kehrte er in die Diele zurück. Er hatte gar nicht gemerkt, wie hungrig er eigentlich war. Die Laterne stellte er auf den Tisch und griff sich ein Stück Brot. Er biss herzhaft hinein, obwohl es schon recht trocken war. Dann ging er hinüber zur Feuerstelle, um zu schauen, ob dort noch Eintopf vom Vortag hing. Er stolperte über etwas Weiches. Unheil ahnend fuhr er herum. Es war ein Arm. Im Schatten des Tisches lag eine dunkle Gestalt auf dem Boden. Voll Schrecken griff er sich die Laterne und hielt sie hinunter. Dort lag Sievert mit bleichem Gesicht und aufgerissenen Augen in einer

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