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Das Mädchen und der Schwarze Tod

Das Mädchen und der Schwarze Tod

Titel: Das Mädchen und der Schwarze Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
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wollte. Sie hatte noch nie einen Mann geküsst und nicht geahnt, welch ein süßer Schauer sie dabei durchfahren würde. Doch schließlich schob Notke sie fort.
    »Marike«, keuchte er und rang um Atem. »Ich will Euch doch nicht – die Leute!« Doch sie legte ihm den Finger auf die Lippen, und er verstummte.
    »Es schert mich nicht mehr, was die Leute von mir denken, Bernt.« Sie bedeckte sein Gesicht mit verzweifelten Küssen. Sie wollte vergessen, versinken, sich gegen die Grässlichkeiten stemmen, die dort draußen warteten. »Eine Nacht der Sorglosigkeit, Liebster«, bat sie leise.
    Endlich schloss Bernt die Arme um sie und hielt sie fest, so als wolle er sich versichern, dass sie nichts Unüberlegtes tat. »Aber sollten wir nicht hinausgehen und … ich weiß nicht … deinen Vater finden?«
    Marike lehnte ihre Stirn an seine Wange. »Wie denn? Wir wissen nicht, wen er …«, sie konnte den Satz nicht beenden. »Ich habe keine Ahnung, was er nun vorhat, und du auch nicht. Wir haben verloren, Bernt. Wir werden ihn nicht aufhalten können. Besonders nicht bei diesem Wetter.« Wie zur Bestätigung rüttelte das Gewitter draußen an den Fensterläden. Das fremde Haus knackte und stöhnte unter dem Sturm wie ein Greis. Der Himmel erhellte sich in der Ferne kurz, und ein Donnergrollen drang durch die Nacht zu ihnen herüber.
    Als Marikes Lippen denen des Malers wieder begegneten, da fühlte sie sich frei. Sie schloss die Hände um seinen Kopf und sog gierig den Duft seines Körpers ein. Seine Hände fuhren langsam über ihre Hüften. Als Marike unwillkürlich erbebte, zog er sie an sich und hielt sie fest. Seine Hände waren so warm und fest und ließen sie erzittern. Marike unterbrach schließlich den Kuss, um nach Luft zu ringen.
    »Soll ich aufhören?«, fragte Notke erschrocken. »Manche Dinge bereut man bei Sonnenschein.« Doch Marike schüttelte den Kopf. »Nein«, bat sie leise. »Nicht aufhören.« Sie wollte sich ihm hingeben und seinen Kopf auf ihrer Brust bergen, die Welt draußen aussperren und ihn einfach nur spüren. »Ich werde nichts bereuen.«
    Marike ließ sich fallen und gab sich ganz den Händen des Malers hin. Seine Zunge brachte ihren Leib zum Glühen. Seine Finger berührten sie auf eine Weise, die sie verzückte. Schließlich vereinigten sie ihre Leiber so innig umschlungen, als wollten sie ineinander verschmelzen. Und endlich, endlich konnte Marike die Augen schließen und etwas anderes sehen als den Tod.

DIE JUNGFRAU
    Johannes Pertzeval unterdrückte mit aller Macht ein Husten, wie er es immer tat, wenn er auszog, dem Totentanz ein Opfer zu bringen. Er schlich sich an die junge Frau heran, die des Nachts auf der Straße stand; zum Schutz gegen den Regen unter einer Außentreppe in einen Umhang gehüllt. Sie war keine Ehrbare und sicher auch keine Jung frau mehr, doch darauf konnte er jetzt nicht mehr achten. Der Totentanz musste vollendet werden.
    Er stand nun direkt hinter der Frau und legte ihr beinahe zärtlich die Lederschlinge um den Hals. Sie schrak zusammen und wollte sich umdrehen, doch er verdrehte die Schnüre mit dem Drehholz, das er daran angebracht hatte, um Kraft zu sparen. Einen Menschen zu erwürgen war gar nicht so einfach, wie es aussah. Die junge Frau bäumte sich in seinen Armen auf, doch schließlich fiel sie zu Boden.
    Einige Augenblicke hielt Pertzeval noch fest, um ganz sicherzugehen. Als der Körper der Frau aufhörte zu zappeln, lockerte er die Lederschlinge und zog das Drehholz heraus. Dann ließ er seinem Husten freien Lauf. Jemanden ersticken zu sehen war niemals eine hübsche Sache – und doch oft die einfachste Methode. Schon den trunksüchtigen Küster Krontorp hatte Pertzeval mit der Schlinge der dicken Glocke in Sankt Marien erhängt. Der alte Handelsherr hatte beinahe eine Stunde gebraucht, um die Treppen hinaufzukommen und sich dort oben zu verstecken. Er musste sich aller Hilfsmittel bedienen, die er finden konnte. Er besaß einfach nicht mehr Oldesloes Kraft. Ehemalige Kraft, sagte Pertzeval zu sich. Seit Marike und Lyseke den Ratsherrn getötet hatten, waren knapp drei Tage vergangen.
    Lübeck glich inzwischen einem Friedhof. Die Pestfahrer kamen schon nicht mehr dem Sterben hinterher, die Büttel des Frons waren ebenfalls völlig überfordert damit, die Ordnung aufrechtzuerhalten. Genau wie vor vierzehn Jahren.
    Johannes Pertzeval schloss die Augen, denn vor seinem Geist stand das Bild seiner Lisbeth. Sie lächelte ihn sanft an und legte ihre Hand

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