Das Mädchen und der Schwarze Tod
auf den runden Bauch, in dem ihre einzige Tochter heranreifte – Maria, seine Marike. Lisbeth hatte vor Glück und Zufriedenheit geglüht und war nie schöner gewesen als damals. Auf dem Totenbett hatte er ihr versprochen, auf ihre beiden noch verbliebenen Kinder achtzugeben – Claas und Marike. Der Sohn war ihr kurze Zeit später gefolgt. Johannes würde nicht auch noch Marike an den Schwarzen Tod verlieren.
Unwillig wandte er sich dem toten Mädchen vor sich zu. Er hatte sie schon ein paarmal beobachtet. Sie hieß Karla und war jung – kaum älter als seine Tochter. Sie hätte hübsch sein können, wenn sie nicht so dürr und dreckig gewesen wäre. Seit sie vom Badermeister Trautmann entlassen worden war, verkaufte sie ihren Körper für Geld, erst beim Domherrn Paulus, dann auf der Straße. So hatte Johannes sie gefunden und auserwählt. Niemand würde sie vermissen. Und wenn sie auch keine Jung frau mehr war, konnte sie doch für die jungen Frauen im Totentanz sterben.
Der alte Mann beugte sich hinunter und schloss ihr die verdrehten Augen. »Es tut mir leid«, murmelte er rau. »Wär es anders gegangen, hätte ich’s gemacht. Aber ich verspreche dir«, seine Stimme versagte, und er räusperte sich, »ich verspreche, dein Tod wird nicht umsonst gewesen sein.«
Johannes Pertzeval fluchte in sich hinein, als er aus seiner Tasche einige Säckchen und Fläschchen für das Ritual herausnahm. Immerhin war der Domherr so überzeugt von der Macht des Veles gewesen, dass er sein Leben für ihn gelassen hatte. Auch Oldesloe war nun ausgeschaltet. Das geschah ihm ganz recht, denn er hatte vorgehabt, Pertzeval zu verraten. So blieb nur noch er übrig, um das Werk zu vollenden. Durch die Knochenspäne und die Holzsplitter, mit denen er die Frau einsegnete, würde sie wie die anderen Opfer zuvor Veles geweiht und mit dem TotentanzGemälde in der Marienkirche verbunden, dessen Farben ebenfalls mit diesen dem Totengott heiligen Substanzen angereichert waren.
Mit mehr Geschick als Kraft legte Johann Pertzeval das tote Mädchen vor sich so zurecht, dass sie gerade auf dem Rücken zu liegen kam. Er faltete ihre Hände in Würde. Schließlich zögerte er, bevor er ihren Rock züchtig über die Beine zog. Das Mädchen könnte vom Alter her immerhin seine Tochter sein. Und sie sollte eine würdige Vertreterin ihres Geschlechtes sein.
Der alte Mann benetzte die Lippen und den Stoff über dem Schoß der toten Hure mit Kuhmilch und murmelte dazu die Zeilen, die Pater Nikolaus ihn gelehrt hatte, in jener harten und gleichzeitig doch glatt tönenden Sprache. Um den Aussagen den Sinn und die Leidenschaft zuweisen zu können, die sie verdienten, fügte er hinterher die Entsprechung an, die er verstand. Zwar widerstrebte es Johannes Pertzeval, diese heidnischen Rituale zu praktizieren, doch wenn sich damit wirklich erreichen ließ, was die Bruderschaft geplant hatte, dann war das sein Seelenheil wert. Er machte sich an die Arbeit.
»Wir beugen unser Haupt und beten zu Veles, dem Herrn der Unterwelt«, murmelte er da, »ich segne diesen Tod mit dem Saft des Lebens. Sieh diese junge Frau und nimm sie als dein Opfer an.« Er kramte aus einem Beutel gemahlenes Horn hervor und verstreute es sorg fältig über ihren Körper. Er schloss die Augen und rief wieder den Gott an. »Ich segne diesen Leib mit deiner Kraft. Sieh diese junge Frau und nimm sie als dein Opfer an.«
Johannes Pertzeval erhob sich und wischte den Schweiß von der Stirn. Zwar hatte der sintflutartige Regen die Luft abgekühlt, doch die Anstrengung erschöpfte ihn. Er dachte an die Krankheit, die in seinem Inneren wucherte und ihm die Lunge zerfraß. Einen Augenblick lang sammelte er neue Kraft. Dann holte er den Beutel mit der Graberde hervor. Er krümelte ein paar Fingerspitzen davon auf die Herzgegend der jungen Frau. »Wir beugen unser Haupt und beten zu Veles, dem Herrn der Unterwelt«, wiederholte er zum dritten Mal, »ich segne diesen Tod mit dem Leib der Erde. Sieh diese junge Frau und erkenne sie als dein Opfer.«
Ächzend zog er dann ein kleines Ledermäppchen hervor und entnahm einen kleinen Splitter aus dunklem Holz. Seine Hand zitterte leicht, denn mit diesem mächtigen Zauber würde die Segnung abgeschlossen sein. Natürlich kam dieses Holz nicht vom Kreuz Christi, sondern von dem hölzernen Buch des Veles, das Oldesloe und er in dem alten Grab beim Bauplatz des neuen Holstentors gefunden hatten. Bei einem Span vom Kreuz wüsste man wenigstens, was für
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