Das Mädchen und der Schwarze Tod
nicht Eure Schuld! Setzt Euch erst einmal …«
Er wagte nicht, sie festzuhalten, da sie nur mit einem Hemd bekleidet war. Doch Marike griff nach ihm, denn ihre Beine gaben nach. Gemeinsam kamen sie auf dem Boden vor dem Kamin zu sitzen, wo es wenigstens warm war. Gierige Flammenzungen leckten an einem Holzscheit.
»Ich hätte es merken müssen, Bernt! Ich hätte sehen müssen, dass das alles nur so einen Sinn ergibt!« Sie kämpfte um ihre Fassung. Doch sie wollte nicht weinen, nicht jetzt – sie wollte kein Mitleid. Doch als Notke sie an seine Schulter zog und die Arme fest um sie schloss, verlor sie fast die Beherrschung. »Ihr seid nass wie eine Ratte«, lachte sie verzweifelt und klammerte sich an ihn.
»Und Ihr kalt wie ein Fisch«, lächelte er schwach und streichelte vorsichtig ihr Haar. Dann wurde er wieder ernst. Er sah ihr in die Augen. »Was ergibt einen Sinn, Marike?«
Sie genoss seine Nähe ein paar tiefe Atemzüge lang, bevor sie den Griff löste. »Lynow war nur ein Helfershelfer«, murmelte sie. »Er war nicht der dritte Mann. Mein Vater … mein Vater ist der dritte Mann.«
Notkes Miene verfinsterte sich, dann starrte er sie zweifelnd an. »Das kann nicht sein!«, stieß er hervor. Dann sah er sich um und schien erstmals die Umstände wahrzunehmen, unter denen er sie gefunden hatte. Er schluckte. Schließlich zog er sich von ihr zurück. Marike befürchtete für einen Augenblick, dass er aufspringen und weglaufen würde.
»Wie kommt Ihr darauf?«, fragte er gepresst. Draußen zuckte ein Blitz, und das unmittelbare Krachen ließ erahnen, dass er eingeschlagen war.
»Ich habe das Holzbuch gefunden«, flüsterte sie erstickt. »In seiner Truhe. Und Schriftstücke – Übersetzungen aus dem Wendischen. Oldesloe und Vater – sie haben letztes Frühjahr beim Bauplatz des neuen Holstentors ein Grab gefunden, in dem Schmuckstücke und Knochen lagen. Und ich fürchte, sie haben auch diese Holztafeln darin gefunden.« Sie verstummte kurz.
»Das kann auch andere Gründe haben«, stammelte Notke. Jetzt sprang er tatsächlich auf. »Er kann sie von Oldesloe geholt haben, oder sie -«
Marike unterbrach ihn. »Bernt«, flüsterte sie mit einem Knoten im Hals. »Es ergibt alles einen Sinn. Oldesloe ist ein grober Klotz. Sicher einer, der mit Menschen umgehen kann und sie zu manipulieren weiß, doch schließlich löst er Probleme am liebsten direkt – mit dem Knüppel oder mit der dicken Börse. Er kauft Menschen oder bedroht sie.« Draußen rüttelte der Wind an den Fenstern. »Dieser ganze Plan ist für Oldesloe zu präzise geplant und zu perfekt durchgeführt. Die vielen Todesfälle, die wie Unfälle oder Selbstmorde aussahen – darum würde Oldesloe sich doch nie scheren! Er ist zu arrogant, um daran zu denken, dass ihn jemand aufhalten könnte!«
»Aber Euer Vater …«, murmelte Notke. Nun ging er auf und ab wie ein Tier im Käfig.
Auch Marike erhob sich langsam und strich verlegen ihr Hemd glatt. »Ja glaubt Ihr denn, ich würde ihn solcher … solcher Schrecklichkeiten bezichtigen, wenn sie nicht …«, Marike konnte nicht weitersprechen. Ihre Stimme erstarb, und sie musste schon wieder weinen.
Immer noch hin und her wandernd, schwieg Notke mit finsterem Gesicht. Abwechselnd ballte er die Fäuste und spreizte die Finger, um sich durch das Haar zu fahren, bis es ungezähmt vom Kopf stand.
Marike wartete auf eine Reaktion, doch die kam nicht. »Bernt?«, fragte sie zaghaft und trat näher. Statt zu antworten hielt Notke von ihr abgewandt inne und trat bollernd gegen die Holztür, sodass die junge Frau zusammenschrak. In die entstehende Pause hinein murmelte sie wieder: »Bernt, Ihr -« Doch erneutes Krachen ließ sie verstummen. Dieses Mal schlug der Maler mit den Fäusten gegen die Tür. Rechts, dann links, wieder rechts, und schließlich krachten beide Fäuste wieder und wieder auf das Holz. Als die Schläge schließlich nachließen, ging sie vorsichtig hinüber. Sie wollte ihn trösten – doch was gäbe es zu sagen? Als sie ihm die Hand leicht auf die Schulter legte, fuhr er herum. Marike schrak zurück. Sein Gesicht war verzerrt von Trauer.
»Euer Vater …«, presste der Maler heraus. »Euer verdammter Vater! Und ich -«, er unterbrach sich mit grimmigen Lachen, »ich habe mich um sein Wohlwollen bemüht!« Er krümmte sich, als ob eine unsichtbare Faust seine Eingeweide zusammenpresste. »Ich habe stets Ausreden für sein Verhalten gesucht – seine Sorge um Euch, die Pest, die
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