Das Mädchen und der Schwarze Tod
trage ihn nicht zum Beten.«
»Ihr betet nicht?«
»Natürlich bete ich. Mir sind nur die Pfaffen zu doppelzüngig.«
»Doppelzüngig?« Marike bekreuzigte sich.
»Sie verkaufen die Gnade des Herrn an den Meistbietenden«, erläuterte er kurz. »Und dabei halten sie sich selbst nicht an die Gesetze Gottes, die sie predigen, und bringen die Kirche mit ihrer Gier in Verruf.«
»Seid Ihr gar ein Hussit?«, fragte Marike mit hochgezogener Augenbraue. Jan Hus war ein Ketzer gewesen, dessen Lehren im Böhmischen für lange Kriegsjahre zwischen seinen Anhängern und den Papsttreuen gesorgt hatten.
»Nein, das bin ich nicht. Dafür interessiert mich die Kirche zu wenig. Sie hat meinen Respekt verloren, das ist alles. Ich finde, die Priester sollten sich um das Seelenheil eines Menschen kümmern, statt ihm mit Ablässen das Geld aus der Tasche zu ziehen. Diese Kirche ist ein Moloch.«
»Oh«, machte Marike. Offenbar bemerkte sie seine Befangenheit. »Mein Vater kauft diese Dinge auch nicht. Auch wenn ich mir manchmal wünschte, er würde es tun …«
Der Maler fuhr sich verlegen durch das Haar. »Ich vergaß – Euer Vater... Wie hält er sich?«
»So gut es eben geht«, murmelte sie. »Meint Ihr, dass Ihr mit Eurer Einstellung der Richtige seid, ein Kirchenbild zu malen?«
»Oh ja.« Notke drang nicht weiter in sie. »Ich male für die Menschen, nicht für die Kirche. Zum Beispiel die Mutter Maria – ihr Glaube ist so rein und gut, dass sie einen mit nur einem Blick bekehren kann. Ich hoffe, mein Totentanz macht die Leute wenigstens ein wenig nachdenklich.«
»Mir scheint, Ihr wollt die Menschen an die eigene Sterblichkeit mahnen, damit sie nicht unvorbereitet sterben.«
Notke bewunderte das Einfühlungsvermögen der jungen Frau mehr und mehr. Sie hatte in einem Satz zusammengefasst, wofür ein Totentanz stand.
»Aber manchmal frage ich mich, ob es einen vorbereiteten Tod überhaupt gibt«, grübelte sie. »Kommt er nicht immer unvorbereitet?«
Das war ein grimmiger Gedanke. »Ich weiß es nicht«, sagte er dann. Er wandte sich ihr zu und drehte dabei seinem Fries den Rücken zu. »Aber vielleicht solltet Ihr weniger düstere Gedanken hegen, Jungfer Pertzeval. Man sagt, es bereite der Seele Kummer.«
Marike blickte ihm in die Augen. »Ich bitte um Vergebung – ich denke wirklich zu viel nach«, begann sie, doch dann verstummte sie und schlug die Lider nieder. Als sie aufsah, begegnete Notke wieder ihrem Blick, und beide lächelten verlegen. Wie gerne würde er sie ein wenig aufmuntern! Doch auch jetzt fielen ihm nicht die richtigen Worte ein. Aus einem Impuls heraus berührte er ihre Wange und strich vorsichtig mit den Fingern darüber. Das Lächeln, das daraufhin ihr Gesicht erhellte, belohnte seinen Mut.
Doch genauso schnell, wie die Innigkeit zwischen ihnen entstanden war, verflog sie wieder, als Marike den Blick senkte und einen Schritt zurücktrat. »Ich … ich muss gehen.« Sie wandte sich um und hastete zu der kleinen Tür in der Nordwand. Ihre Magd lief schnell hinterher.
Notke verfluchte sich – er hatte sie nicht verschrecken wollen. Er sprang ihr hinterher und hielt im Türrahmen inne. »Jungfer Marike?«
Die Frauen hielten draußen noch einmal inne. »Ja?«
»Ich will Euch danken!« Notkes Herz schlug ihm bis zum Halse.
»Aber wofür denn, Meister Notke?«
»Ihr habt mich mit Euren Augen auf das Bild schauen lassen.« Bernt lächelte und deutete eine galante Verbeugung an. Die Jungfer machte einen leichten Knicks. »Nichts zu danken«, meinte sie, schenkte ihm ein kleines Lächeln und wandte sich endgültig ab.
Notke aber blieb mit schwindelndem Kopf zurück. Verdammt! Er fuhr sich mehrfach aufgeregt durch das Haar. Er hatte stets über andere Junggesellen gespottet, die glotzend ihren Angebeteten hinterhergestolpert waren. Doch das, was ihn schwindeln ließ, das waren die ersten Anzeichen von Liebe – die er bei anderen stets als Fieber bezeichnet hatte. Und jetzt hatte diese Krankheit ihn selbst erwischt.
Er erinnerte sich an die Worte, die Lyseke ihm vorhin zugeflüstert hatte. In jedem Fall würde die Angebetete morgen Abend in den Rovershagen gehen. Führte dort nicht in letzter Zeit eine Gruppe Schausteller ihre Künste auf? Wenn Marike dorthin ging, dann würde er das auch tun. Im Augenblick sehnte er sich nur danach, sie so schnell wie möglich wiederzusehen – und dafür zu sorgen, dass ihr Ausflug nicht böse endete.
Notke straffte die Schultern. Er hatte es geschafft –
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