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Das Mädchen und der Schwarze Tod

Das Mädchen und der Schwarze Tod

Titel: Das Mädchen und der Schwarze Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
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das noch lange nicht, dass bald ein Nachfolger erwählt wäre. Ihm als Bettelmönch fiel es schwer, diese Machenschaften zu verstehen, hatte er sich doch für ein Leben in Armut und Nähe zu Gott entschieden. Doch der Mönch wusste, dass diese Schachereien nur auf die Kirche zurückfielen. Sie stärkten die Reihen der Bettelorden und die Kritik an der üppigen Fassade der Kirche. »Das Kreuz steht fest, während die Welt sich dreht«, war der Spruch seines Ordens, und darin lag viel Weisheit. Der Glaube an Gott würde nicht wanken. Doch das Antlitz der Kirche würde sich mit jedem Priester ändern, der den Mut hatte, sein Teil dazu beizutragen. Und wenn nur genügend Menschen auf Armut und Bescheidenheit der Priester und die innere Einkehr zu Gott beharrten, dann würde Rom nachziehen müssen.
    »Jesus Christus, erbarme dich meiner.«
    Die Doppeltürme von Sankt Marien lockten ihn schon seit einer Wegstunde. Vielleicht konnte er sogar noch wie angekündigt bei Pater Martin vorsprechen, mit dem er in brieflichem Austausch stand.
    Das letzte Wegstück zur Holstenbrücke im Westen Lübecks war schnell zurückgelegt. Die große Baugrube des neuen Holstentores, die so alt noch nicht war, lag bereits wieder verwaist vor der Stadt. Rechts vor der Brücke standen die alten Heringshäuser, links lagen in kleiner Entfernung einige Höfe am Ufer der Trave. Auf der Straße war bloß ein Fuhrwerk unterwegs, und einige Bauern kehrten schon jetzt vom Markt heim.
    Wie immer vor Eintritt in die Stadt lenkte Burchart seine Schritte zunächst zum Ufer vor dem Tor. Der Jung frau Maria konnte man schließlich nicht staubig und verschwitzt unter die Augen treten. Rechter Hand lag der Binnenhafen, linker Hand hatte man einen guten Blick auf den Hansehafen Lübecks. Der stand niemals still. Ladung wurde gelöscht oder aufgeladen, Segel eingeholt oder gesetzt, Schiffe legten an oder ab. Burchart legte sein Gepäck und den Wanderstab ab und brach sich auf dem Weg die Böschung hinab einen Weg ins hohe Schilf. Der Stand des Flusses war niedrig und das Ufer trocken und fest.
    Als er eine Hand hineinsteckte, fand er das Wasser der Trave kühl und angenehm. »Jesus Christus, erbarme dich meiner.« Er klatschte sich mit beiden Händen eine ordentliche Ladung Wasser ins Gesicht, wusch den Nacken und den beinahe kahlen Kopf. Er senkte den Kopf und murmelte das heilige Gebet, das den Tagesablauf eines jeden Kartäusers begleitete: »Gegrüßet seist Du, Maria, voll der Gnade, der Herr ist mit Dir. Du bist gebenedeit unter den Weibern, und gebenedeit ist die Frucht Deines Leibes, Jesus. Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns arme Sünder jetzt und in der Stunde unseres Sterbens. Amen.«
    Bruder Burchart hob den Kopf verblüfft, als sein Schatten auf der Wasseroberfläche verdunkelt wurde. Eine Hand schloss sich um seinen Nacken und drückte ihn vorwärts, bis sein Gesicht die Wasserfläche durchbrach, und hielt ihn in eisernem Griff dort nieder.
    Der Kartäuser langte instinktiv mit den Händen über die Schulter nach hinten, kratzte über Haut und bekam Stoff zu fassen, doch der Griff lockerte sich nicht. Burchart tastete darauf im Uferschlamm wild nach einem Stück Holz oder einem Stein, doch er fand keinen. Seine Lunge schrie nach Luft, doch noch konnte Burchart das instinktive Schnappen bezwingen, das in seiner Kehle würgte. Er wollte sich zur Ruhe mahnen, suchte in sich nach dem Jesusgebet, das doch den Quell seiner inneren Stärke darstellte, doch er fand die Worte nicht mehr. Zweimal noch konnte er das innere Würgen seiner Lunge unterdrücken, die ein Eigenleben gewonnen zu haben schien. Dann verlor Bruder Burchart den Kampf. Er atmete tief ein.
    Mit dem Wasser, das durch seine Luftröhre strömte, überflutete ihn Erleichterung. Nun hatte das Bangen ein Ende. Hatte er recht getan im Leben? Wie würde Jesus Christus ihn empfangen? Der Kartäuser wurde ganz ruhig. Das Heil seiner Seele lag nun nicht mehr in seinen Händen. Er hatte ein Leben der inneren Einkehr hinter sich. Nun hieß es auf Jesus Christus vertrauen, und an diesem Vertrauen hatte er zeit seines Lebens gearbeitet. Burchart war bereit für den Tod und das Gericht des Herrn. Er fürchtete sich nicht.
    »Jesus Christus, erbarme dich meiner.«

KAPITEL 4
    D ie untergehende Sonne sandte letzte Strahlen zwischen die Fachwerkbuden. Das Zwielicht hing zwischen den Häusern, als klammere es sich an die schiefen Balken, während die wachsenden Schatten sie in stetig dunkelndes Grau

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