Das Mädchen und der Schwarze Tod
herabhing.
Die Frau runzelte die Stirn. »Was für Antworten?«
Marike verschränkte die Arme vor der Brust. »Was hast du mit Schmied Lynow zu schaffen?«
»Das habe ich dir doch gesagt. Genauer gesagt hast du es eben doch sogar gesehen.« Damit grinste die Hure und zog ihren Rock hoch, sodass man Wade und Knie sehen konnte. »Hat’s dir gefallen, Honigmäulchen? Du konntest ja kaum deine Augen abwenden.«
»Lass das!«, erwiderte Marike gereizt. Sie hatte genug von den Spielen dieser Frau – sie versuchte doch nur, sie abzulenken. »Wenn du dir Geld bei mir verdienen willst, solltest du anfangen, höflicher zu sein!«
Die Hure sah sie überrascht an.
»Wie heißt du?«
»Anna. Lass mal hören, mein Stern.«
Marikes Gedanken überschlugen sich. »Woher kennst du diesen Namen?«, fuhr sie die Fiedlerin an. Spitzelte die Frau ihr oder ihrem Vater hinterher?
»Oh, habe ich ins Schwarze getroffen? Ich finde einfach, dass deine Augen so strahlen wie die Sterne am Himmel …«
Marike wurde heiß bei dem, was das Weib andeutete. Gleichzeitig verfluchte sie sich. Jetzt hatte sie sich doch von ihr überrumpeln lassen. »Lass das, Weib. Ich möchte herausfinden, was der Schmied Lynow hier will – abgesehen von deinen Diensten. Ich glaube, er will sich mit jemandem treffen. Kannst du uns helfen herauszufinden, wer das ist?«
Anna zuckte betont langsam mit den Schultern, während sie Marike genau musterte. »Vielleicht …«
Entnervt rollte Marike mit den Augen. »Vielleicht? Kannst du oder kannst du nicht?«
Lyseke zupfte Marike am Ärmel. »Das war das Stichwort, deine Börse zu zücken, Liebes.«
Marike war froh, dass die Freundin bei ihr war. Für solche Dinge hatte sie ein besseres Gefühl. Sie nahm ihre Börse. Als sie in dem Lederbeutel kramte, stellte Lyseke sich so, dass die Schaustellerin nicht hineinschauen konnte.
Die Hure nahm die beiden Pfennige und rückte wieder den Ausschnitt ihres Kleides zurecht, der nun in der Mitte herabgerutscht war und die Ansätze der Brüste offenbarte. Keine ehrbare Frau würde sich so in der Öffentlichkeit zeigen! »Er hat gefragt, ob ein Kerl namens Stocker sich hier herumtreibt. Er ist ein Schläger mit nur einem Ohr. Was er mit ihm will – keine Ahnung, Honigmäulchen. Das musst du selbst herausfinden.«
Marike nickte und wollte sich schon abwenden, doch das Geräusch schlagender Flügel vom Dach der Fachwerkbuden ließ Marike aufschauen. Und tatsächlich sah sie dort auf dem Ziegeldach drei, vier der schwarzen Vögel hocken, die sie schon vorgestern Morgen aufgeschreckt hatten.
»Krähen!«, spie Anna aus. »Ein schlechtes Omen.«
»Ja«, sagte Marike tonlos. »Sie kommen nur, wenn es was zu fressen gibt …«
Die Hure legte Marike beinahe zärtlich die Hand auf den Arm. »Du spürst es auch, nicht wahr?«
»Spüre was?«, fragte Marike, doch ihre Worte klangen hohl. Ein Kribbeln im Nacken reizte ihre Nerven. Verfolgten die Vögel sie etwa? Doch sie schalt sich eine Närrin. Pater Martin nannte so etwas abergläubisches Geschwätz.
»Gib acht auf dich, hm? Die Zeiten sind unsicher«, sagte die Hure. Dann kehrte sie ihnen den Rücken zu und drängte sich in die Menge.
»Diese Leute sprechen ebenso gerne in Rätseln und Gleichnissen wie Pater Martin«, murmelte Marike, als die Fiedlerin außer Sicht war. »Langsam habe ich den Verdacht, dass sie sich nur wichtigtun wollen.«
»Komm, lass uns das Schauspiel anschauen. Vielleicht können wir uns dabei unauffällig nach Lynow oder diesem Stocker umschauen.«
»Sagtest du nicht, dass die Schauspieler uns mit ihren Spielen zu Unzüchtigkeit und Sünde verleiten wollen?«, fragte Marike lächelnd. Die kleine Freundin legte die Stirn in Falten. »Ja schon. Aber wir schauen doch nur ein bisschen zu. Das wird schon keine Sünde sein.« Dann zog sie Marike hinter sich her, die das geschehen ließ. Die Menge war schrecklich unübersichtlich, es war dunkel, und sie kannte hier kaum jemanden. Sie musste einen Weg finden, Lynow zu beobachten, ohne dass dieser sie oder Lyseke erkannte. Doch gleichzeitig steckte sie Lysekes Neugier an.
Die beiden wandten sich der Bühne zu, die auf einem einachsigen Karren aufgebaut war, wie es bei den Engelländern oft vorkam. Marike hatte schon so manches Spiel gesehen. Oft erzählten sie die Passion nach und feierten die Auferstehung Jesu Christi. Manchmal gab es auch komische Stücke, wie das von dem Abdecker, der nicht seines Vaters Sohn sein wollte, sondern lieber der Bastard
Weitere Kostenlose Bücher