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Das Mädchen und der Schwarze Tod

Das Mädchen und der Schwarze Tod

Titel: Das Mädchen und der Schwarze Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
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eines reichen Kaufherrn. Und für das schlichte Volk fanden oft spaßige Spektakel statt, in denen Priester Mägde mit List und Tücke entjungferten oder ein derber Freier sämtlichen Mädchen der Stadt nachstellte.
    Doch das Schauspiel auf der Karrenfläche ähnelte nichts, was Marike kannte. Groteske Figuren mit Symbolen verschiedenster Stände traten auf und sagten ihr Sprüchlein auf, während andere noch darauf warteten, dass sie an der Reihe waren. Marike fand die Verkleidungen und Figuren merkwürdig. Gerade rezitierte ein Mann in enger roter Kleidung und einem den Ritterstand symbolisierenden Holzschwert seine Verse in der Tonlage höchster Verzweiflung.
    »Tod, ich bitt’, du mögest einhalten!
    Lass mich Luft holen vor deinem Schalten!
    Meine Zeit hab ich übel verbracht,
    Sterben hab ich gering geacht’.
    Ich dachte nichts als Saufen und Prassen, schindet’ und plagt’ mein Untersassen.
    Nun soll ich reisen, ob ich nicht will, und weiß der Reise nicht das Ziel.«
    Nun verharrte der Ritter, die Arme in einer flehentlichen Geste halb erhoben. Marike hielt den Atem an, denn der schrille Tonfall des Ritters hatte ihr einen Knoten im Hals anschwellen lassen. Sie bemerkte jetzt erst den hinter ihm lauernden Schatten, auf dessen Antwort der Mann offenbar wartete. Die Kaufmannstochter konnte nicht viel erkennen, denn der schwarze Umhang mit tiefer Kapuze verbarg die Gestalt beinahe vollständig. Nur die blassen Arme ragten aus den weiten Ärmeln. In einer Hand trug die Figur eine große hölzerne Sense.
    Marikes Gaumen wurde trocken, denn sie erkannte, welche Figur dort dargestellt war. Dort oben stand der allgegenwärtige Tod und riss die Menschen aus dem Leben. Unwillkürlich trat die junge Frau einen Schritt zurück. Schon auf Notkes Leinwand gebannt hatte der Tod sie beunruhigt, und nur ein Dutzend Ellen vor ihr stehend hielt sie seine Gegenwart nicht besser aus. Derweilen hob die düstere Figur nun mit Grabesstimme an zu sprechen.
    »Hättst du dir die Armen mit deinem Gut zum Fürsprech gemacht, wär dir wohler zumut; aber wer durfte von Not und Gebrechen vor dir großem Herren sprechen!
    Deiner Pracht warst du gewärtig, für mein Kommen wenig fertig … nun bist du verstöret gar und ganz!«
    Unter dem Raunen der Zuschauer riss der Tod seine Sense empor. Dann fuhr er dem Edelmann damit erst auf den Kopf – »Oh!«, machte das Publikum, während Marike zusammenzuckte -, dann in den Bauch – »Ah!« rief es aus der Menge, während die Kaufmannstochter die Hände vor den Mund schlug -, bis der Mann gurgelnd zusammenbrach. Dann fegte der Vermummte mit der Sense über die Holzfläche, als kehre er mit dem Besen die Straße. Dies geschah offenbar nicht zum ersten Mal, denn die ersten Leute, die gerade noch mit dem Sterbenden gelitten hatten, lachten bereits laut auf, als der einachsige Wagen langsam vornüberkippte. Der Edelmann glitt wie auf einer Mehlrutsche von der Karrenfläche und stellte sich unten zu den anderen Gestalten. Marike reckte den Hals und entdeckte einige Fahrende zur Linken, die in groben Kostümen als Papst, Kaiser und Bischof gekennzeichnet waren, während andere nun die Achse des Wagens wieder in die Waagerechte bewegten und festhielten. Während alldem schien der Tod im schwarzen Umhang über der Szene zu thronen, als sei er nicht von dieser Welt.
    Die dunkle Stimme des Todes tönte nach nur kurzer Pause erneut durch den zwielichtigen Innenhof: »Domherr, komm, tritt an zum Tanz!«
    Marike dämmerte langsam, was hier dargestellt wurde, und tastete nach ihrem Rosenkranz. Die Leute links von der Totenwaage waren offenbar schon gerichtet, während die rechts davon noch auf ihre Begegnung mit dem Tod warteten. Dazwischen huschten immer wieder Schausteller hin und her, die sich bereits Standessymbole für eine neue Rolle griffen. »Lyseke, das ist …«
    »… ein Totentanz«, schloss die Freundin.
    Der quengelnde Ton des um sein Leben flehenden Domherrn im Hintergrund erntete aus dem Publikum hämisches Gelächter, doch Marike zwang sich dazu, die Augen abzuwenden und die Ohren zu verschließen. »Warum führen die Fahrenden hier einen Totentanz auf, wo doch Meister Notke gerade einen in der Marienkirche malt?«
    »Vielleicht hat jemand mitbekommen, was Notke dort tut?« Die Freundin starrte gebannt auf das Spektakel.
    Doch Marike schüttelte heftig den Kopf und wies auf die nur angedeutete, aber erkennbare Mitra des Papstes, der offenbar als Erster gestorben war. »Schau dir doch die

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