Das Mädchen und der Schwarze Tod
Ausstattung an! So etwas sammelt man nicht mal eben zusammen!«
»Stimmt«, meinte Lyseke. »Ja und? Dann führen diese Spielleute ihren Mummenschanz eben öfter auf. Vielleicht sind sie extra gekommen, weil sie von dem Gemälde für Sankt Marien gehört haben. Notke malt daran doch schon seit Monaten.«
»Aber nicht einmal ich wusste genau, was er malt!«, protestierte Marike.
»Wen kümmert’s? Ich finde es lustig!«
Marike fand das nicht. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und sah sich nach Lynow um, doch der rotgesichtige Schmied war im Durcheinander nirgendwo zu sehen. Wohl oder übel wandte sie sich wieder zurück zu der hölzernen Bühne. Dort wurde der Domherr gerade mit einem Schlag mit der Sense in den Rücken gefällt – er sprang vorher noch mit gegrätschten Beinen wie unter einem heftigen Schlag in die Luft – und wurde dann wie ein Haufen Brennholz von der Bühne gekippt.
»Bürgermeister, heb an zum Tanz!«, schallte es dunkel über den Platz. Unverzüglich hob ein jubelndes Rufen und Anfeuern in der Menge an. Erschreckt sah die Kaufmannstochter sich um und blickte in die Gesichter der Menschen um sie herum. Manche rissen die Kappen vom Kopf und warfen sie in die Luft, als der Bürgermeister dem Tod vorgeführt wurde, und andere stimmten Spottlieder an. Marike hatte beinahe den Eindruck, einer Hinrichtung beizuwohnen, bei der ein verhasster Verbrecher seinem gerechten Urteilsspruch zugeführt wurde. Hohn, Spott, ja Schadenfreude sprachen aus den Augen der einfachen Menschen.
»Sie müssen uns wirklich hassen!«, stellte Marike konsterniert fest. Bei der Feindseligkeit, die sie umgab, wünschte sie, sich ungesehen davonstehlen zu können.
»Nein, Herrin, sie hassen Euch nicht.«
Marike schrak zusammen und fuhr herum. Hinter Lyseke und ihr stand der Flötenspieler, auf den sie auf dem Marktplatz gestern nur einen kurzen Blick hatte werfen können, als er am Pranger gestanden hatte. Offenbar hatte auch er sie wiedererkannt. Der dürre Mann erinnerte sie immer mehr an einen Wolf. Das schwarze Haar hing ihm lang und zottelig auf die Schultern, Bartstoppeln an Oberlippe und Kinn von mehreren Tagen verbargen, dass sich darunter das Gesicht eines recht jungen Mannes befand. Im krassen Gegensatz dazu stand der beunruhigende Blick, der Marike gestern schon so beeindruckt hatte. Er wirkte müde und hart, wie von jemandem, der in seinem Leben schon vieles gesehen hatte. Auch die Kleidung des Kerls war eigenartig – ein grauer Rock und enge Beinkleider, derer sich ein Edelmann vermutlich schon vor Jahren entledigt hatte und die längst Farbe und Form verloren hatten. In der Hand trug er eine lange helle Flöte.
Der Mann musterte Marike kurz, bevor er sich wieder dem Schauspiel zuwendete. Dann fuhr er fort. »Sie lachen nur gerne über Euch. Sie ziehen Euch in denselben Straßendreck, in dem sie tagtäglich für Euch schwitzen und ackern. Und sie sind froh, dass Euch Euer Reichtum bei dieser letzten aller Verhandlungen nichts nutzen wird. Könnt Ihr es ihnen verdenken?« Er wandte sich nun ihr zu und ließ nur noch ab und an einen Blick über die Bühne schweifen.
»Das entspringt alles harter Arbeit!«, verteidigte Marike sich. Der Flötenspieler schnaubte belustigt und schenkte ihr einen skeptischen Seitenblick.
»Pscht!«, machte Lyseke nun in Marikes Richtung. Sie folgte noch immer dem Stück auf der Bühne. Doch Marike war abgelenkt. Hatte der Flötenspieler sie nur zufällig angesprochen? Oder war er gar mit Lynow im Bunde? In jedem Falle musste sie vorsichtig sein. Und vielleicht gelänge es ihr gar, ihn selbst ein wenig auszuhorchen …
»Kaufmann, schnell, mach dich bereit!«, befahl der Tod nun eine weitere Figur auf das Schafott. Begeisterung brandete im Publikum auf, als der Kaufmann, kenntlich an seinen langen Sporen, auf den Karren stieg. Er hob weinerlich an zu sprechen:
»Wie sollt ich für dich bereitet sein! Ich tat mein Geld in Häuser hinein, meine Böden sind voll Kornes getragen, meine Ware liegt auf Schiffen und Wagen … Hab selbst viel schwere Fahrt getan – doch keine ging so hart mich an. Könnt’ ich mein Rechnung klar abschließen, möcht’ mich der Tod nicht so verdrießen.«
Gelächter begleitete seine Worte. Marike erinnerte diese Rede an ihren Vater. Was dort in wenigen Sätzen aufgesagt wurde, beschrieb ein Lebenswerk voll Bangen und Hoffen, harter Arbeit und Entbehrungen. Doch woher sollten das die einfachen Leute hier wissen, die nur auf die
Weitere Kostenlose Bücher