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Das Mädchen und der Schwarze Tod

Das Mädchen und der Schwarze Tod

Titel: Das Mädchen und der Schwarze Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
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Backsteinfassade und den Reichtum der Kaufleute sahen?
    Einzelne Zuschauer begannen ablehnend zu murren und zu zischen. »Lass ihn nicht von der Schippe, Gevatter!«, rief eine Frau.
    Ein Mann krähte: »Der tut doch nur so. Insgeheim haut er uns beim Lohn über’s Ohr und frisst seine Münzen lieber, als sie uns auszuzahlen!«
    »Alles Betrüger und Halsabschneider!«
    »Der verdient keinen schnellen Tod, der sollte hängen, bis er blau wird!«, schrie der Nächste, und so ging es weiter, bis das ganze Publikum grölte und zischte. Die bierseligen Leute hatten Blut geleckt, Hohn und Spott standen in ihre Züge geschrieben. Unwillkürlich zog Marike ihren Kopf ein und wünschte sich weit fort. Lyseke wirkte ähnlich beunruhigt.
    Der Tod hob die Hand, um die Menge zu beruhigen. Gebannte Stille fiel über den Rovershagen. Außerhalb des von Fackeln und einem kleinen Feuer beleuchteten Hinterhofs schloss die dunkle Nacht die Welt aus. Auf den Gesichtern der Menschen tanzten Schatten und verwandelten sie in grinsende Fratzen.
    Der verhüllte Tod, der, wie Marike nun erkannte, nicht auf der Ladefläche des Wagens stand, sondern auf einem Fass dahinter, hob seine hölzerne Sichel und schwang sie auf den Kaufmann zu. Marike zuckte zusammen, als der Kaufmann theatralisch röchelnd verendete. Dann drückten die Schausteller die Deichsel herunter, und der Karren kippte weg. Unter dem tobenden Gelächter der Menschenmenge rutschte er von der Bühne, die daraufhin für den nächsten im Reigen wieder aufgerichtet wurde.
    »Warum feiert ihr diesen Totentanz eigentlich?«, fragte sie bedrückt.
    »Warum lasst Ihr einen für Eure Kirche anfertigen? Dies«, er deutete auf die Karrenbühne, »ist ein Totentanz, wie die armen Leute ihn malen. Einen für die Ewigkeit können sie sich nicht leisten. Und was ist schon die Ewigkeit? Eurer wird vielleicht einhundert, vielleicht fünfhundert Jahre bestehen. Aber irgendwann wird auch er vergehen.«
    Der Tod rief derweilen den Küster auf die Bühne. Marike fuhr es kalt den Rücken herunter. »Das ist noch lange kein Grund, das Sterben so zu feiern.«
    Der dürre Kerl zuckte mit den Schultern. »Im Angesicht des Todes fühlt sich der Mensch lebendig. Man spürt das eigene Blut durch den Körper rauschen, fühlt jeden Atemzug. Selbst Schmerz fühlt sich gut an, denn so weiß man, dass man lebt. Man hört die Vögel so deutlich wie nie zuvor, jede Berührung vermag einen zu betören …« Er wandte sich ihr mit dunklen Augen zu, die Marike ganz unruhig machten. »Versetzt Euch der Tod nicht auch in einen taumelnden Rausch?«
    »Nein«, meinte sie mit einem Knoten im Hals. Sie war froh, dass Lyseke an ihrer Seite war, auch wenn die Freundin ihre Aufmerksamkeit auf die Bühne richtete.
    Der Flötenspieler hob seine Flöte quer an die Lippen und blies nachdenklich hinein. Eine Folge tiefer, leiser Töne wehte hervor. Diese vage Melodie hallte in Marikes Eingeweiden wider und rief die düstere Ahnung zurück, die sie seit einigen Tagen verfolgte. Als sie darüber nachdachte, wie vertraut sie hier mit dem Fremden sprach, schimpfte sie sich stumm eine Närrin. Sie hatte doch vorsichtig sein wollen, worüber sie mit ihm sprach! Es war Zeit, den Spieß umzudrehen.
    »Bist du schon lange auf der Straße unterwegs?«, fragte sie unvermittelt.
    Der Mann hauchte erneut in die Flöte hinein. »Seit ich klein war.«
    »Warum? Gefällt es dir denn nirgendwo?«
    Das zauberte ein wehmütiges Lächeln auf seine Lippen, das so gar nicht zu ihm passen wollte. »Es gefällt mir an vielen Orten, aber bleiben kann ich nicht. Schließlich haben wir Schausteller keine Seele und dienen dem Teufel.«
    Der sachliche Ton verunsicherte Marike, bis sie ob des ironischen Zwinkerns beschloss, dass er scherzte. Die Kirche predigte, dass Schausteller auf der Bühne Ehebruch, Unzucht und alles Widerwärtige als gängige Moral, gar als Vorbild inszenierten. Domherr Nikolaus sagte stets, der wahre Christ meide sie daher, wenn er nicht ins Verderben geleitet werden wolle, denn die Schauspieler seien Werkzeuge des Teufels.
    »Ach«, erwiderte Marike zaghaft, »nicht alle denken so, sonst wären wir nicht hier. Und der Schmied Lynow zum Beispiel geht oft auf die Märkte von Schaustellern.« Sie lauerte auf eine Reaktion des Pfeifers. Tatsächlich blickten seine Augen zu ihr und musterten sie eingehend, doch weshalb wusste sie nicht, sie konnte in seinen Zügen nicht lesen. Mit einem Mal wirkte der Mann verschlossen wie ein Buch mit

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