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Das Mädchen und der Schwarze Tod

Das Mädchen und der Schwarze Tod

Titel: Das Mädchen und der Schwarze Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
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wurden, der sich mit jenseitigen, üblen Mächten einließ. Der Mann war ein Ketzer!
    »Wer … wer bist du?«, fragte sie atemlos. Doch der Flötenspieler antwortete nicht.
    »Pertzeval«, hustete eine Stimme hinter ihr. »Du bist die kleine Pertzeval!«
    Die Kaufmannstochter fuhr herum. Sie starrte den Schmied Lynow an, der nun gekrümmt aufrecht stand, unter dem Kinn eine dicke Schwellung vom Druck des Seiles. Angst fuhr Marike in die Glieder. Nun hatte er etwas in der Hand, mit dem er Druck auf sie und ihren Vater ausüben könnte – wenn sich herumsprach, dass sie hier gewesen war, dann würde man sie für eine Hübscherin halten. Was sollte sie nur tun?
    »Geh nach Hause, Marike Pertzeval«, flüsterte der Flötenspieler ihr von hinten ins Ohr. »Geh nach Hause, und stecke deine Nase in deine eigenen Angelegenheiten.« Er senkte seine Stimme zu einem gefährlichen Raunen. »Menschen sind in Lübeck gestorben. Und weitere werden sterben. Viele davon viel einflussreicher als du. Kümmere dich lieber um deine Familie und Freunde, statt in meiner Welt herumzustochern. Dann ist mit ein bisschen Glück niemand dabei, der dir nahesteht.«
    Marike überlief es kalt. Ihr Verstand verarbeitete, was sie gerade gehört hatte. War Lynow gar nicht aus Rache gekommen? Was führte er mit diesem teuflischen Flötenspieler im Schilde? Und was hatten die beiden nur gegen Johannes Pertzeval vor? Sie wollte nur nach Hause, wo sie in des Vaters Obhut in Sicherheit wäre. Gleichzeitig schienen ihre Füße so schwer wie Weinfässer zu sein, denn sie konnte sie nicht bewegen. »Ist … ist das eine Drohung?«, brachte sie mit zitternder Stimme heraus.
    »Nein«, gab der Pfeifer zurück. »Eine ernste Warnung. Geh!«
    Diese dritte Aufforderung schien Marike aus dem Bann zu entlassen, in dem sie Angst und Schrecken hielten. Sie stolperte vorwärts und fiel Lyseke in die Arme. Die Freundinnen hielten einander fest, bis sie sich ein wenig beruhigt hatten.
    »Komm«, sagte Lyseke darauf zu Marike und strich ihr besorgt über die Wange. »Wir hätten nicht kommen sollen. Lass uns besser gehen.« Marike nickte. Es war ein Fehler gewesen, herzukommen und sich mit diesen Leuten einzulassen. Sie hätte wissen müssen, dass sie jemand erkennen würde. Vielleicht sah der Herrgott wirklich alles und strafte auf dem Fuße.
    Die beiden jungen Frauen drängten sich mit Bernt Notke aus der Menge heraus. Stumm hasteten sie die Kupferschmiedestraße zu den Schüsselbuden hinunter. Der Abschied hinter der Marienkirche von Lyseke, die in einem prachtvollen repräsentativen Haus in der Braunstraße wohnte, fiel kurz aus; der mit Notke auf der steilen Johannisstraße eher befangen. Doch die Kaufmannstochter bemerkte es kaum.
    Erst viel später, als sie schon daheim im Bett in ihrer Dachkammer lag, hörte Marikes Herz auf zu galoppieren. Verwirrt wälzte sie sich im Bett hin und her. Als sie schließlich in den Schlaf glitt, träumte sie vom tanzenden Tod, der ihren Vater, Lynow, Lyseke und sie neckte, bis er schließlich aus der Leinwand heraussprang und vor seinem Maler Notke davonhuschte, der ihn mit Pinsel und Farbeimer verfolgte. Das knöcherne Skelett des Todes trug das Gesicht des Flötenspielers.

DER EDELMANN
    Die Kerze auf dem Tisch flackerte, obwohl kaum eine Brise wehte. Das unstete Licht warf tanzende Schatten an die Wände der kleinen Schreibstube des herrschaftlichen Hauses in der Königstraße. Einer der Schatten taumelte mit gleichmäßigen Bewegungen wie ein rundliches Waschweib über die mit kostbaren Weinranken bemalte Wand. Nach einer Weile zuckte der Schatten erst regelmäßig, dann hektisch; und schließlich kippte er zur Seite und hüpfte unregelmäßig aus, bis er zur Ruhe kam. Gedankenverloren stellte Gunther von Kirchow seinen Krug Schnaps beiseite und nahm den zapfenförmigen Kreisel auf. Erst ließ er das glatte Holz durch die Finger gleiten und legte einen Faden in die spiralförmige Rille, um ihn dann in der Mitte des Tisches in Schwung zu bringen. Mit leisem Schnurren und Klackern bewegte er sich wie schwebend auf den Brettern hin und her, wie durch Magie auf der Spitze tanzend. Wieder warf er den taumelnden Schatten an die Wand. Die Dunkelheit der Kammer verbarg nicht, dass die Farbe an vielen Stellen bereits abgeplatzt und fleckig war, die Fensterläden bereits schwarz vor Alter und die Decke einige feuchte Flecken aufwies.
    Der jugendliche Bursche nahm die Feder wieder auf und tauchte die Spitze in die Tinte. Sorg fältig

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