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Das Mädchen und der Schwarze Tod

Das Mädchen und der Schwarze Tod

Titel: Das Mädchen und der Schwarze Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
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angesehenen Meister Lynow eines Verbrechens bezichtigte. Und welches Verbrechens überhaupt? »Menschen sind in Lübeck gestorben«, hatte der Flötenspieler gesagt. Und »viele davon einflussreicher als du«. Was hatte das zu bedeuten? Hatte er von dem armen Guardian Clemens gesprochen? Das war doch ein Unfall gewesen! Oder etwa von dem widerlichen Ritter Evert von Ulenburch? Der war im Bade von einer entehrten Magd erstochen worden. Und was hatte Meister Lynow mit alldem zu tun? Seine Blasiusbruderschaft kam ihr nun auch merkwürdig vor.
    Sie griff nach ihrer Legenda Aurea , jenem Buch, das neben ihr auf der Bank lag. Es enthielt auf kostbarem Pergament die Legenden vieler Heiliger und war mit so herrlichen Ornamenten und Bildern verziert, dass sie sich das Buch bisweilen nur vornahm, um die Figuren mit ihren weißen Bärten und weißen Schleiern zu betrachten. Zu St. Blasius fand sie heraus, dass er nur aufgrund eines Gebets einen Wolf dazu gebracht hatte, einer Bäuerin ihr Schwein zurückzugeben, und dass er ansonsten dem Vieh half, gegen wilde Tiere schützte und mit vielerlei anderen Dingen um Erde und Wachstum zu tun hatte. Doch was wollten Kaufleute mit einem solchen Heiligen als Pestpatron? Je öfter die Kaufmannstochter die Worte des Pfeifers drehte und wendete, desto mehr Fragen taten sich auf.
    Schließlich erhob sie sich. Sie würde neues Bier holen. Sie trat aus der Diele kurz in den Hinterhof, um den schlanken Krug in den Hof zu entleeren, und tauschte diesen dann gegen einen bereitstehenden vollen. An dem schnüffelte sie erst vorsichtig und probierte schließlich einen Schluck. Auch dieses Bier schmeckte vergoren. Hatten sie etwa ein schlechtes Fass erstanden? Sie würde später mit Alheyd reden und das überprüfen.
    Sie war schon auf dem Rückweg in die Kemenate, als sie Wortfetzen von der Haustür her hörte. War das nicht die Stimme von Meister Notke? Was wollte der Maler hier? War er ihretwegen gekommen? Diese Aussicht verscheuchte ihre düsteren Gedanken und erweckte dieses gewisse Kribbeln im Leib.
    Schon machte sie ein paar Schritte zur Türe, hielt aber inne, als sie von der Straße das Husten ihres Vaters hörte. Die Tür selbst war geschlossen, sodass man die gesprochenen Worte nicht so recht verstehen konnte, doch das Fenster stand weit offen und ließ den Schall der Stimmen hindurch. Ihr Vater klang wenig erfreut, und Bernt Notke wirkte gedämpft, gar bedrückt.
    Es gab nur einen Grund, warum Bernt Notke hier erschienen war. Wollte er die Erlaubnis einholen, um sie werben zu dürfen? Wieder dachte sie an den leidenschaftlichen Tanz der gestrigen Nacht zurück. Sie spürte Bernts festen Griff noch an ihrer Hand, jede flüchtige Berührung der Schultern und der Beine. Sie erinnerte sich an jeden Blick. Doch wie sie ihren Vater kannte, würde er auch dieses Mal sämtliche Hoffnungen des Verehrers zunichtemachen, ohne ihr auch nur ein Sterbenswörtchen davon zu sagen. Sie wusste nicht genau, was zwischen ihr und Notke war, doch der Vater würde ihr nicht dazwischenkommen. Nicht dieses Mal! Marike stellte den Bierkrug mit einem Krachen wieder auf die Tischplatte und ballte die Fäuste. Gerade wollte sie mit langen Schritten dazwischenfahren, da trat Johannes Pertzeval ein und schloss die Türe hinter sich. Draußen hastete Maler Notke mit gesenktem Kopf am Fenster vorbei.
    »Wolltet Ihr mir auch davon nichts berichten, Herr Vater?«, fragte Marike wütend. Er schaute fragend auf, und sein Blick wanderte zu der Schramme an ihrem Kopf, die sie seit gestern trug, als Bernt Lynow sie gegen die Hauswand geschleudert hatte. Dem Vater gegenüber hatte sie behauptet, sie hätte im Dunkeln den Nachttopf gesucht und sich dabei am Bett den Kopf gestoßen. »Herr Notke! Ihr habt ihn fortgeschickt, ohne mich auch nur zu fragen, ob ich ihn sehen will. Bei Lynow kann ich das ertragen. Aber dieses Mal will ich die Wahrheit wissen! Was hat er gewollt?«
    »Marike, ich …«, setzte der Vater an, doch die Tochter unterbrach ihn.
    »Herr von Ulenburch war Euch zu alt und zu adelig. Meister Bernig war Euch nicht vornehm genug und Johann Verhöft zu jung. Bei Lynow gibt es sicher Tausende von Gründen. Aber was stört Euch denn an Meister Notke? Ist er Euch nun zu jung? Oder gar schon zu alt? Nicht reich genug?«
    »Der Herr Notke …«, setzte Johannes Pertzeval geduldig wieder an, doch Marike war wild entschlossen, ihm dieses Mal die Meinung zu sagen. Inzwischen zitterte ihre Stimme vor Zorn, und das machte

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