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Das Mädchen und der Schwarze Tod

Das Mädchen und der Schwarze Tod

Titel: Das Mädchen und der Schwarze Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
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Inhalt über die Hand des Mannes ergoss. »Verdammte Axt!«, fluchte Gunther und sprang auf.
    Diese Bewegung rettete ihm vermutlich das Leben. Neben ihm krachte eine Keule auf den Tisch und zermalmte die Schale mit dem Sand. Gunther von Kirchow fuhr herum. Dann riss er die Augen auf. Vor ihm stand eine riesenhafte Gestalt in schwarzem, weitem Umhang, deren Kopf von einer Kapuze verborgen war. Mit beiden Händen schwang sie nun die Keule wieder in seine Richtung und traf seine Hand. Die Knochen krachten und knirschten, der Schmerz ließ Gunther beinahe das Bewusstsein verlieren. »Was zum -«, keuchte er, doch der nächste Schlag traf ihn an der Seite des Kopfes und brachte ihn zum Verstummen. Vor den Augen des Edelmanns explodierte gleißendes Licht. Er fiel um wie ein Sack Mehl.
    Sein verschleierter Blick glitt an den Bodendielen entlang zu einem Paar weicher Lederschuhe mit langen Spitzen und fand dann den Kreisel. Das Kinderspielzeug tropfte noch vor dunkelblauer Tinte. Gunther lächelte wehmütig, als er an Lyseke und seine Hochzeit dachte. Die Geliebte allein und trauernd in dieser Welt zurücklassen zu müssen, ihr nicht das Glück der Erde zu Füßen legen zu können, niemals die Kinder zu sehen, die sie miteinander hätten haben können – diese Gedanken trieben ihm die Tränen in die Augen. »Verzeih«, flüsterte er schwach. Dann traf ihn der dritte Schlag auf den Kopf und ließ sämtliche Lichter verlöschen.

KAPITEL 5
    D ie Klosterglocken kündigten mit dröhnendem Geläut die Sext an. Drückende Schwüle lag über der Stadt. In der schweren Mittagshitze war der Alltag der Lübecker beinahe zum Erliegen gekommen, denn jede Bewegung trieb den Schweiß aus den Poren. Lastträger und Waschweiber richteten stille Gebete um eine Brise zum Himmel. Doch bis zum Mittag verhallten diese Bitten ungehört.
    Allein Marike schien die Hitze nicht einmal zu bemerken. Sie saß in der Kemenate im hinteren Bereich des väterlichen Backsteinhauses über einer neuen Stickborte für ihre Kleider und setzte Stich für Stich das Rankenmuster fort, für das sie eingefärbte Seidenfäden in zwei verschiedenen Grüntönen erstanden hatte. Die Handarbeit zwang sie zur Geduld und erforderte viel Sorgfalt, doch Marike tat sie gerne. Gewöhnlich fand sie darüber Ruhe und innere Klarheit. Beides hatte sie momentan bitter nötig, denn immer, wenn sie an die letzte Nacht dachte, schlug ihr Herz schneller. Und sie musste viel an das denken, was gestern geschehen war. Ihr Alltag war sonst nicht so bewegt, und selten hatten Freude und Furcht so nahe beieinandergelegen. Sie erinnerte sich gerne an die Darbietungen der Fahrenden und den fröhlichen Reigentanz mit Bernt Notke. Doch auf der anderen Seite steckten ihr der Schrecken, von Meister Lynow erkannt worden zu sein, und seine im letzten Moment abgewendete Hinrichtung durch die Fahrensleute noch in den Gliedern. Und schließlich die Drohung des Flötenspielers, sie solle sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern, wenn sie nicht wolle, dass ihr nahestehende Menschen starben.
    Sie barg das Gesicht in den Händen vor lauter Verzweiflung. Nicht einmal mit ihrem lieben Vater konnte sie darüber sprechen. Sie würde den enttäuschten Ausdruck in seinen Augen nicht ertragen können, wenn er von ihrem gestrigen Ausflug erführe.
    Doch konnte sie auch die Drohungen des Pfeifers verschweigen? Der Kerl hatte gesagt, es seien bereits Menschen gestorben, und weitere würden sterben. Sollte sie nicht zur Fronerei gehen und das alles bei Konrad Brigen anzeigen? Der Fron könnte den Flötenspieler und seine Spießgesellen dann festhalten und aufklären, ob der Schmied Lynow etwas damit zu tun hatte.
    Unruhig ließ Marike ihr Stickband sinken und begutachtete ihr Werk. Die grünen Ranken saßen wild und ungleichmäßig, statt einen glatten Teppich zu bilden, und die Stielstiche am Rand, die eigentlich wie ein gleichmäßig gedrehtes Seil wirken sollten, waren Kraut und Rüben. Sie würde alles wieder auftrennen, den Faden glätten und die ganze Arbeit von vorne beginnen müssen. Dazu hatte sie nun wahrlich nicht die Ruhe. Also schob sie das Stickzeug auf die Bank und griff nach dem Bierkrug. Doch bereits der erste Schluck schmeckte merkwürdig. Angewidert spie sie ihn aus. Zu ihrer Grübelei zurückkehrend schalt sie sich eine Närrin. Sie kannte sich immerhin so gut in den Machtverhältnissen Lübecks aus, dass sie wusste, dass der Fron sich selbst einen Strick drehen würde, wenn er den

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