Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Mädchen und der Schwarze Tod

Das Mädchen und der Schwarze Tod

Titel: Das Mädchen und der Schwarze Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
Vom Netzwerk:
schon gefragt, wo er wohl steckte.
    »Warum?«, wollte auch Drakonor wissen. »Der is’ nur Ärger! Keiner wird’en vermissen.«
    »Lass ihn runter«, knurrte der Pfeifer. »Die Frau hat recht. Hängen wir den reichen Pfeffersack heute, haben wir morgen die ganze Stadt am Hals. Also weg mit dem Strick!«
    Marike beobachtete den Wortwechsel fasziniert. Der wölfische Geselle schien unter den Schaustellern einen nicht unbeachtlichen Respekt zu genießen. Doch warum nahm der Mann für sie Partei ein? Oder war das gar nicht ihre, sondern Lynows Partei? Marike hatte kaltes Entsetzen darüber gepackt, wie wenig diesen Leuten ein Menschenleben zu bedeuten schien.
    Schließlich ließ Drakonor den Strick unwillig fahren, und der Schmied rutschte herab, da seine Beine ihn nicht mehr trugen. Während Lyseke schaute, ob es Meister Lynow gut ging, sah Marike in die Runde. Die Anspannung der Menschen war gewichen. Es hatte viele Zuschauer gegeben, die sich das Spektakel hatten anschauen wollen, doch die meisten zogen sich bereits wieder zurück. Der Feuerschlucker rollte zähneknirschend seinen Strick wieder zusammen, während die Hure Marike erst aus ihren fremdartigen Augen musterte und sich dann abwandte. Hatte die Frau gelächelt, bevor sie sich abgewandt hatte?
    »Es geht ihm ganz gut, denke ich«, sagte Lyseke. Sie sah aus, als wolle sie Lynow trotz seiner Schwäche noch einen Tritt versetzen. »Komm. Wollen wir nicht nach Hause gehen?«
    Doch Marike hörte ihr nicht zu. Sie näherte sich dem Flötenspieler fröstelnd. »Ich weiß nicht, warum du das getan hast. Aber ich danke dir.«
    Der Mann strich sich seine Zotteln aus dem Gesicht und bleckte die Zähne. »Menschenfreundlichkeit?«
    »Das glaube ich kaum. Deine Leute wirkten kaum sehr menschenfreundlich, als sie den Kerl aufknüpfen wollten!«
    »Oh, während deine Leute voll Barmherzigkeit versucht haben, den Schuft zu retten?« Der Pfeifer wies mit dem Kinn auf Notke und Lyseke, die dem Schmied gerade auf die Beine halfen.
    Marike wollte erst zornig etwas erwidern – doch der Schausteller hatte recht. Waren sie, die Lübecker Bürger, wirklich so anders? Lyseke war beteiligt gewesen, und Notke hätte für Lynow keinen Finger gerührt. Und die Stadt würde bald einen Novizen hinrichten, um die Gerüchte über den Selbstmord des Bischofs zu beenden. Marike hatte bei alldem einen üblen Geschmack im Mund.
    »Also, warum?«
    »Vielleicht wollte ich Euch einen Wunsch erfüllen?« Doch aus der Stimme des Schaustellers klang feiner Spott.
    Marike erinnerte sich an die kurze Begegnung des Flötenspielers mit Lynow, und ihr kam ein Verdacht. »Vielleicht bist du mit dem Mann vertraut und tust nur so, als wolltest du mir einen Wunsch erfüllen.«
    Der Pfeifer lächelte freudlos. »Vielleicht. Vielleicht hast du keine Ahnung von dem, was hier gespielt wird.«
    »Das stimmt allerdings. Also hör auf, in Rätseln zu sprechen!«
    Doch der Mann schüttelte nur den Kopf. »Geh nach Hause, Jungfer Pertzeval. Geh nach Hause. Dort ist alles, was dich interessieren sollte. In dieser Welt«, er hob die Hände und wies auf den Hinterhof voller ärmlicher, dreckiger Gestalten, »hast du nichts zu suchen.«
    »Manchmal überschneiden sich unsere Welten eben«, erwiderte sie einsilbig.
    »Oh«, der Pfeifer zog eine Augenbraue hoch. »Ihr könnt ja auch in Rätseln reden, wenn Ihr wollt.«
    Das zauberte unwillkürlich ein Lächeln auf Marikes Lippen. Doch innerlich wuchsen ihre Sorgen. Wenn ein skrupelloser Mann wie Lynow sich mit einem mysteriösen Schausteller und einem verurteilten Verbrecher traf, dann verhieß das nichts Gutes. Sie musste nur noch herausfinden, wie die Leute zusammenhingen. Und zwar jetzt. Aber wie sollte sie das anstellen?
    Der Flötenspieler war einen Schritt vorgetreten und stand nun so nahe vor ihr, dass ihre Körper sich beinahe berührten. Doch als ihr Blick auf das offen stehende Wams fiel, sah sie auf der Haut des Mannes einen dunklen Fleck, der nicht von Geburt an da zu sein schien.
    Schwarz wie mit Kohle gezeichnet und geformt wie ein Mann mit Bart und gedrehten Hörnern, dessen Körper in einem Schlangenleib endete, konnte das Bild entweder ein Hautbild oder ein Brandzeichen sein, da war die Kaufmannstochter sich nicht sicher. Sie wusste nur, dass ihr das Zeichen einen Schrecken einflößte, der sie unwillkürlich zurückweichen ließ. Sie starrte den Flötenspieler entsetzt an. Sie hatte von Teufels- und Hexenmalen gehört, die einem jeden aufgedrückt

Weitere Kostenlose Bücher