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Das Mädchen und der Schwarze Tod

Das Mädchen und der Schwarze Tod

Titel: Das Mädchen und der Schwarze Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
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auf die Nase gebunden. Er hatte sie abgewimmelt und versprochen, sich nach dem Mädchen umzuschauen. Nun, auf seine Weise hatte er das auch vor. Doch während er nach außen eine beinahe heilige Fassade aufrechterhalten hatte, kochte er innerlich vor Wut. Was hatte das Weib sich erdreistet? Sie war ja nicht einmal eine Heilige Frau!
    Bei seinem Hauseingang angekommen, warteten dort bereits die ersten Gäste auf ihn. Immerhin würde es eine einträgliche Nacht werden. »Geduld, meine Freunde, Geduld. Ich will schon die Türe aufsperren. Dann werdet Ihr bekommen, wonach Euer Herz begehrt.« Er kramte seinen Schlüssel aus den Falten des Gewandes hervor.
    Plötzlich spürte Domherr Paulus einen kurzen stechenden Schmerz in der Brust. Zunächst dachte er, es wären die Herzschmerzen, die ihn jetzt manchmal überfielen, bis ihm seitlich unter dem Stoff etwas Warmes über die Haut rann. Erstaunt schaute er zu dem Mann im Türeingang. Der verschlagen grinsende Mann mit stinkendem Atem, einem dunklen Bart und fehlendem Ohr hielt noch das Messer, das er dem Domherrn in die Seite gerammt hatte. Der drehte sich nun auf schwachen Beinen weiter, zu den anderen. Eine schmale Gestalt trug das Gesicht von einer Kapuze verhüllt.
    Paulus fiel rückwärts gegen die Holztüre, denn er traute seinen Beinen nicht mehr so recht. Eine helle Stimme sprach fremdartige Verse. Der Mann, dem ein Ohr fehlte, schleuderte ihm grinsend etwas ins Gesicht, doch der Domherr vernahm nur ein alles übertönendes Rauschen. Er merkte, wie sein Herz in der Brust schneller schlug. Bald würde er für seine Sünden zahlen müssen.
    Es war merkwürdig – in den letzten Jahren hatte er mehr und mehr daran gezweifelt, dass es überhaupt einen Gott gab, der seine Gebete hörte und die guten und schlechten Taten gegeneinander aufwog. Paulus hatte die Leere in seinem Innersten mit den schlimmsten Vergehen gegen die christlichen Werte gefüllt. In dieser Zeit hatte er seinen Glauben verloren. Doch niemals war er gläubiger gewesen als in diesem Augenblick, da er das Blut aus seiner Brust rinnen spürte. Die Sünden der letzten Jahre huschten mit beängstigender Geschwindigkeit durch seinen Geist, und er erkannte, dass er in der Hölle schmoren würde. Die Ironie dieser Erkenntnis entrang Domherr Paulus ein trockenes, verzweifeltes Lachen, bevor er starb.

KAPITEL 6
    D as Fegefeuer war in Lübeck in unmittelbarer Nachbarschaft des Doms angesiedelt. Es befand sich auf dem erhöhten Kamm des Lübecker Stadtwerders, der sich durch die ganze Stadt zog und auf dem auch Rathaus, Marienkirche und beinahe jedes andere Gotteshaus lagen. Die hohen Herrschaften wollten ihre Häuser schließlich nicht im Schlamm bauen. Ganz im Gegensatz dazu bestand das Gebiet der Flussschiffer, das in Spuckreichweite des Doms lag, aus einigen Gruben, die sich von der Höhe hinunter zur Trave und zum Hafen schwangen. Dort unten war das Gewirr aus Straßen und Fachwerkgängen voll kleiner Häuschen so unübersichtlich, dass sich das lichtscheue Gesindel der ganzen Stadt hier zu versammeln schien. Wie verrucht es dort zuging, hatte sich gezeigt, als dort jüngst ein Geistlicher erschlagen worden war. Was auch immer er dort zu suchen gehabt hatte – Notke wusste, dass manche Leute vom Klerus das große Opfer, das sie Gott brachten, zu mildern suchten.
    Die Strahlen der späten Augustsonne wurden schwächer, während Bernt Notke im Fegefeuer wartete. Ihm entging die metaphorische Bedeutung nicht, ihn gerade hier schmoren zu lassen. Man hatte direkten Blick auf das Paradies des Doms – jenen prunkvoll gestalteten Eingangsbereich, in dem Verstorbene aufgebahrt wurden und Verfolgte Asyl suchen konnten. Auch die Zeit war gut gewählt. In vielen Häusern war man von der Arbeit nach Hause gekehrt und bereitete sich schon auf die Nachtruhe vor.
    Der prachtvolle Dom aus Backsteinen trug wie die Marienkirche Zwillingstürme, das Dach dazwischen ragte aber gerade einmal halb so hoch auf. Und wie die Marienkirche war auch der Dom vor etwas mehr als einhundert Jahren von der Basilika zur Hallenkirche ausgebaut worden. Irgendwann, das schwor sich der Maler, würde er auch ein Werk für diesen Dom schaffen.
    Er strich stolz über den teuren Stoff seines modischen Wamses. Das gute Stück bestand aus besticktem grünem Seidenstoff und wurde vorne geschnürt, die Beinlinge in derselben Farbe an das Oberteil genestelt. Dazu trug er ein blaues spanisches Mäntelchen, das der neusten Mode entsprach, und einen hohen

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