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Das Mädchen und der Schwarze Tod

Das Mädchen und der Schwarze Tod

Titel: Das Mädchen und der Schwarze Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
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Oder ein altes wendisches Manuskript? Die Wenden waren ja ein slawisches Volk, doch Marike wusste nicht, ob diese Leute überhaupt eine eigene Schrift hatten. Sie klappte eine der fingerdicken Tafeln um und erstarrte in der Bewegung, denn jetzt grinste ihr eine vertraute Figur entgegen.
    Auf dem Holz hatte man eine kunstfertige Abbildung des gehörnten Mannes mit Schlangenleib und langem Bart angefertigt. Doch hier zeigten sich mehr Details als auf dem Bild, das sie gestern Nacht auf der Haut des Flötenspielers gesehen hatte. Sie erkannte, dass die Hörner gedreht waren wie die einer Heidschnucke. Auch vom Hinterkopf zog sich ein Hornkamm das Rückgrat hinunter, und trotzdem sprossen auf dem Kopf einige Büschel Haare. Das Gesicht war kraftvoll und muskulös, was dem Mann einen sehr grimmigen Ausdruck verlieh – so als sehe er strafend auf den Betrachter herab. Die Augen lagen genau auf natürlichen runden Maserungen des Holzes, so wirkte sein Blick starr, ja finster.
    Marike erschauerte und ließ die Tafel darüber, die sie noch mit zwei Fingern festhielt, schnell wieder herunterklappen. In ihr hatte sich alles verkrampft. Dieses dämonische Bild gestern auf der Brust des Pfeifers, heute im Haus der Oldesloes … Hatte sie den Fluch hier in das Haus getragen, indem sie Lyseke auf das Fest geschleppt hatte? Oder war dies nur ein merkwürdiger Zufall?
    »Oder deine Einbildungskraft geht mit dir durch!«, schalt Marike sich kopfschüttelnd. Pater Martin sagte, viele Hexen und Zauberer seien gar keine, sondern bloß Sündenböcke für den Unwillen anderer Menschen. Vielleicht war das Buch tatsächlich einfach nur ein Buch. Marike versuchte, das Schreckensantlitz aus ihrem Gedächtnis zu verbannen, griff sich das kostbare Glas und schritt beherzt aus der Dornse heraus.
    Sie rannte beinahe in jemanden hinein und zuckte vor Schreck zusammen. Vor ihr im Flur stand Anton Oldesloe. Der massige Mann ragte nun kaum eine Handbreit von ihr entfernt hoch über sie auf und blockierte beinahe die ganze Tür. Er sah auf sie herunter und fragte grollend: »Was macht Ihr in meiner Schreibkammer, Jungfer Marike?«
    Marike erstarrte zur Salzsäule, in der einen Hand das Glas, die andere am Türrahmen. »Also ich … Lyseke … sie …«, stammelte sie zusammenhanglos. Sie hob das Glas, um ihre Anwesenheit zu erklären.
    »Ah«, meinte der große Mann und nahm es ihr aus den Fingern. Dabei sah sie einen Kratzer an seinem Arm. Der Mann machte keine Anstalten, ihr den Weg freizugeben.
    »Ich sollte Euch den Hintern versohlen«, grunzte er nun in gewohnter Lautstärke. Marike wünschte sich sehnlich, er würde flüstern. »Lyseke ist ein Wrack. Sie sagt, du seist schuld an von Kirchows Tod. Und ich frage mich, ob es dafür eine vernünftige Erklärung gibt!« Seine rötlichen Augenbrauen schoben sich ärgerlich zusammen.
    Was sollte Marike dazu sagen? Dass Lyseke vor Schmerz wie eine Ertrinkende nach dem einzigen Seil griff, das sich ihr bot? Oder dass sie vielleicht gar recht hatte mit ihrem Verdacht? Nein, eine vernünftige Erklärung hatte Marike nicht parat, und so schüttelte sie den gesenkten Kopf.
    »Und was soll ich daraus jetzt machen, Kind? Dein Vater ist mir teuer! Wenn er davon erfährt, was du so treibst, trifft ihn sicherlich der Schlag!«
    Hatte Lyseke ihm die Erlebnisse von gestern Nacht etwa erzählt? »Ich … ich würde es vorziehen, er erführe nichts davon, Herr«, bat sie leise. »Es geht ihm nicht gut …«
    »Ich habe ihm schon immer gesagt, er sei zu nachsichtig mit dir! Frauenvolk braucht eine starke Hand, sei es der Vater oder der Ehemann!« Er schüttelte nachdenklich den Kopf. »Diese ganze Angelegenheit ist scheußlich.« Schließlich rang er sich zu einem Entschluss durch und nickte versöhnlich. »Ich sorge mich ja auch um seine Gesundheit. Ich werde ihm also nichts davon berichten.«
    »Herzlichen Dank, Herr Oldesloe.« Erleichtert machte sie eine kleine Verbeugung und sprach leise und höflich: »Vielleicht sollte ich besser gehen, mein Vater vermisst mich sicher schon.«
    »Sicher tut er das«, meinte der Ratsherr. Dann trat er beiseite. Marike schlüpfte aus der Dornse in den Flur und winkte ihre Magd herbei.
    »Pflegt Euren alten Herrn gut«, gab der Mann ihr mit auf den Weg. »Und Jungfer Marike?« Sie hielt an der Tür inne. »Tut einem alten Mann einen Gefallen und denkt mehr an Euren Ruf und Eure Zukunft, ja?« Verunsichert musterte Marike den Mann, bevor sie nickte. Dann eilten Marike und Alheyd

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