Das Mädchen und der Schwarze Tod
zu müssen und den ganzen Schmonz auf dem Landweg herschaffen zu lassen!«
»Ganz zu schweigen davon, dass er die Tore bestimmt auch über kurz oder lang schließen lässt«, fügte der vermummte Priester hinzu. »Hamburg ist seit Wochen dicht!«
»Na ja, immerhin wütet dort auch die Pest«, warf Notke ein. Die Männer wechselten Blicke. »Auf welcher Seite stehst du eigentlich?«, bellte Lynow, doch Oldesloe trat vermittelnd dazwischen. »Nur die Ruhe, mein lieber Bruder.« Lynow wanderte noch ungehalten in der Kapelle auf und ab, sagte jedoch nichts mehr.
Notke hatte den kleinen Austausch beobachtet und dachte sich seinen Teil. Nicht Lynow hatte hier das Sagen. Der Mann hatte einen Heidenrespekt vor Oldesloe. Der Ratsherr wandte sich Notke zu. »Das Problem ist, dass von Calvens Maßnahmen nicht helfen werden, Freund. Sie werden nur unseren Markt schädigen und uns Hunderte, Tausende Mark Lübisch kosten.«
»Und das wisst Ihr woher …?«, fragte Notke. Als wieder Blicke gewechselt wurden, fing sein Verstand an zu arbeiten. Die einzige Lösung, die ihm einfiel, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren. »Sie ist bereits hier, nicht wahr? Die Pest ist schon in Lübeck.« Oldesloe nickte bedeutungsschwer.
»Aber … warum weiß niemand davon? Und warum teilt Ihr das niemandem mit? Und woher wisst Ihr, dass niemand außer Euch es bemerkt?« Notkes Gedanken galoppierten ob dieser schrecklichen Nachricht. »Schafft Ihr etwa die Leichen weg?«
Lynow lachte abfällig. »Das meiste machen die Leute ganz alleine«, spie er aus. »Niemand will öffentlich bekennen, dass er eine Pestleiche im Haushalt hat. Die Auswirkungen würden selbst die reicheren Handwerker vernichten. Wir haben bislang nur zwei, drei verschwinden lassen müssen. Die landen entweder in der Trave oder in einer Kloake. Leichter als in der Scheiße kann man Menschen nicht verschwinden lassen.« Notke musterte bei diesen Worten den vermummten Priester. Jedem Christenmenschen stand ein Grab auf heiligem Boden zu! Doch der Mann zuckte mit den Schultern und sprach leise: »Jene, die die Pest als Erstes nimmt, zählen meist zu den verwerflichsten Schafen des Herrn. Glaubt mir, da könnte ein christliches Begräbnis auch nichts mehr bewirken, Bruder.« Die Dunkelheit unter der Kapuze war zu dicht, um den Mann darunter zu erkennen.
Alles, was Notke dazu hätte sagen könnte, wäre eine Beleidigung der Geistlichkeit gewesen. Also fuhr er sich ärgerlich durch das Haar und schwieg. Bernt Lynow warf ein: »Können wir zum Thema zurückkehren, statt uns Sorgen um den Abschaum der Stadt zu machen?«, und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Notke löste seinen Blick widerwillig von der Kapuze des Geistlichen, doch Lynows gerötetes Gesicht ernüchterte ihn – der Mann würde über kurz oder lang einen Herzschlag erleiden, wenn er nicht auf sich achtgab. »Wir dürfen nicht zulassen, dass von Calven Markt und Hafen blockiert. Da sind wir uns doch einig! Nicht die Pest ist das Problem, sondern dieser kurzsichtige Querkopf!«
»Sicher, Freund Lynow. Die Zeit drängt. Aber ich bin sicher, dass von Calven zur Besinnung kommt«, wiegelte Oldesloe ab.
»Vielleicht sollte man ihm die Wahrheit sagen?«, fragte Notke stirnrunzelnd. Die anderen glotzten ihn an. »Na ja, die Pest ist schon hier! Da müssen doch keine Vorsichtsmaßnahmen mehr getroffen werden.« Doch Notke wusste selbst, dass das nicht passieren würde. Die paar Pesttoten waren erst der Anfang. Der große Seuchenzug würde nicht lange auf sich warten lassen.
»Dann würde von Calven Markt und Hafen schließen lassen, nicht um Lübeck vor der Welt zu schützen, sondern um die Welt vor Lübeck zu schützen, Meister Notke«, sprach der Priester. Die anderen nickten dazu. »Nein, wir müssen Bürgermeister von Calven zur Vernunft bringen.« Notke fiel auf, dass schon wieder Blicke gewechselt wurden, die er nicht deuten konnte. Diese Leute teilten mit ihm gerade einmal die Hälfte dessen, was sie dachten. Er rieb sich die Stirn.
»Aber das können wir morgen tun. Lasst uns heute Abend den Notke feiern!« Oldesloe ließ seine Pranke auf Notkes Schulter klatschen. Die Antwort war ein Krachen und Scheppern hinter ihnen, und Notke fuhr herum. Schmied Lynow hatte ungeschickt das Gleichgewicht verloren und war in die Haltekonstruktion der Bilder gestolpert. Der Totentanz war umgefallen und lag nun auf dem Boden.
»Du Tölpel!«, brüllte Anton Oldesloe, griff sich den Schmied und zog ihn aus der Reichweite
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