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Das Mädchen und der Schwarze Tod

Das Mädchen und der Schwarze Tod

Titel: Das Mädchen und der Schwarze Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
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die Häuser der Johannisstraße bis hinunter zu dem düsteren Kloster. In der Stadt lebten sicher fünfundzwanzigtausend Menschen. Der Großteil davon war sich der Gefahr in ihrer Mitte nicht einmal annähernd bewusst. War man ihnen gegenüber nicht zu Ehrlichkeit verpflichtet, wie Bürgermeister von Calven gesagt hatte? War man diesen Menschen nicht schuldig, sie zu warnen, damit sie aus der Stadt fliehen konnten, bevor sie sich ansteckten? Verdienten sie nicht wenigstens die Möglichkeit der Wahl? Notke konnte wählen. Er konnte seine Arbeit, seine neue Bruderschaft, ja Marike Pertzeval zurücklassen und sich auf das nächste Schiff nach Stockholm oder Bergen begeben. So hätte er vermutlich die größte Chance, mit dem Leben davonzukommen. Doch was für ein Leben wäre das? Er würde sich den Ruf ruinieren und seine Karriere beenden. Pest hin, Pest her, in Lübeck lag seine Zukunft. Und daher durfte er auch niemandem von der Pest erzählen. Der Maler setzte vorsichtig einen Fuß nach dem anderen auf das Pflaster, denn die Johannisstraße war zur Wakenitz hin recht abschüssig.
    »Ich habs Oldesloe nicht gesagt«, schnarrte Lynow hinter ihm. Der Schmied taumelte sich den Bauch haltend hinter ihm her.
    »Was?«
    »Dass Ihr mir gestern auf dem Rovershagen beinahe den Strick gedreht hätt’. Auch von seinem Balg, der Lyseke, hab ich ihm nichts gesagt. Bin ja nicht doof – der hätte mir den Kopf abgerissen. Ihr sagt besser auch nichts davon.«
    Notke nickte. Sicher, Oldesloe schien viel Wert auf seinen Ruf zu legen.
    »Und ich werd auch weiter den Mund halten, Freimeister«, spie Lynow aus, »wenn du keinen Unsinn machst.«
    Notke wünschte, er könnte den Sievert ablegen, um dem Schmied ins Gesicht zu schlagen. Doch er beherrschte sich. »Was soll das heißen, Bruder ?«, fragte er leise.
    »Du hast mich schon verstanden, Mann. Du hast mit dem Pertzevalschen Balg zusammengesteckt. Grapschst ihr unterm Rock rum, hm? Hätte nicht gedacht, dass die so eine ist. Aber bei dem Weibsvolk weiß man ja nie.« Er spie wieder aus, noch immer recht unsicher auf den Beinen.
    Notke verspürte den unwiderstehlichen Drang, den Mann zu würgen, bis er blau anlief. Doch das würde warten müssen. Immerhin gehörten sie jetzt einer Bruderschaft an. »Jungfer Pertzeval ist eine tugendhafte Frau«, grollte er leise. »Und du wirst nicht weiter derart über sie sprechen!«
    »Holla, da ist jemand empfindlich. Denk doch, was du willst, Mann, ich tu’s auch. Aber lass in Zukunft deine Finger von ihr, verstanden? Wenn du spurst, gibt es keinen Grund für mich, deine Liebschaft mit der Jungfer Pertzeval an die große Glocke zu hängen. Das rettet ihr den Ruf, eine halbwegs anständige Frau zu sein, bis ich sie eheliche. Haben wir uns verstanden?«
    Notke funkelte den rotgesichtigen, schwitzenden Schmied an. Marike aufgeben und sie diesem Grobian überlassen? Er dachte nicht daran. Warum konnte Lynow nicht akzpetieren, dass die Pertzevals ihn abgelehnt hatten? Ihm schien an Marike selbst nicht viel zu liegen. Doch momentan musste er den Schmied still halten. »Sicher doch.«
    »Ist auch besser für dich, Freimeister!«, spie Lynow aus. Dann machte er sich langsam von dannen, die Königstraße hinauf.
    Wütend starrte Bernt Notke dem Schmied hinterher und versuchte, sich zu beherrschen. Die warme Nachtluft kühlte ihn nur langsam ab. Jetzt besaß er einen Vorgeschmack dessen, was man in der Bruderschaft unter dem Begriff Treue verstand!
    Fluchend taumelte der Maler unter dem Gewicht des schnarchenden Sievert zu seiner Werkstatt, die in einem der Fachwerkgänge lag, und ließ den Knecht dort auf sein Lager gleiten. Heute würde er sich erst einmal mit ihnen im Ratskeller betrinken – und morgen würde er versuchen, die Lübecksche Politik zu durchschauen. Er musste wissen, worauf er sich da eingelassen hatte.
    Hatte er mit dem Eintritt in die Bruderschaft einen Fehler begangen? Er hatte einen Eid auf den heiligen Blasius geleistet, der ihn zur Treue gegenüber Lynow und Oldesloe verpflichtete. Solche Eide brach man nicht leichtfertig – man verscherzte es sich nicht nur mit dessen weltlichen Anhängern, sondern auch mit einem jenseitigen Fürsprecher für die eigene Seele. Bedrückt erkannte Notke, dass er vielleicht bald zwischen seinen Eidbrüdern und der Frau, die er liebte, würde wählen müssen.

DER BÜRGERMEISTER
    Bürgermeister Wilhelm von Calven sorgte sich um die Zukunft Lübecks. Vor ein paar Tagen auf der Bursprake hatte er

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