Das Mädchen und der Zauberer
angetan hatte und die er in seinem Leben nie mehr vergessen würde.
Die Straße zum Point du Diable verengt sich südlich von Anse l'Étang zu einer Fahrbahn zweiter Ordnung. Die Buchten und weißen Strände sind ein Paradies für Taucher, die hinausschwimmen zu den Korallenriffen und Unterwasserfelsen, wo sich der ganze tropische Unterwasserzauber offenbart, mit bunten Fischschwärmen und bizarren Korallenformationen. Dann – hinter der Abzweigung zum Château Dubuc – am Rande des Naturschutzgebietes entlang, geht ein Weg bis zum Teufelspunkt, gesperrt für den Publikumsverkehr und nur zugelassen für die seltenen Fahrzeuge der Forstbehörde. Hier, an der Baie Baraban und weiter oben am Point, toben die Wellen des Atlantik gegen die Küste, eine wild-schöne Landschaft, die nur noch wenig gemeinsam hat mit dem, was man Karibik-Zauber nennt.
Coulbet ratterte mit seinem Jeep den Weg hinauf, fuhr dann, je näher er der Küste kam, langsamer und hielt unter einer Gruppe vom Wind gebogener Bäume an, als er meinte, nahe genug zu sein. Er nahm sein Präzisionsgewehr unter den Arm, rückte seine Sonnenbrille zurecht und setzte den Weg zu Fuß fort.
Nach ungefähr zweihundert Metern sah er Totagans Peugeot im hohen Gras stehen. Er war leer, der Kofferraumdeckel stand hoch, die Türen waren aufgeklappt. Vorsichtig schlich Coulbet sich näher heran. Er erreichte den Wagen, ohne daß sich etwas rührte, und blickte in den Kofferraum. Der Boden war mit getrocknetem Blut bedeckt.
Coulbet ging weiter. Hinter einer Biegung sah er die Küste des Point du Diable vor sich, umschäumt vom Ozean, erfüllt vom dumpfen Brausen der anrollenden Wellen.
Jules Tsologou Totagan hatte seinen Opferplatz bereits aufgebaut. Josephine war gerade dabei, die letzten eisernen Opferschalen aufzustellen und mit den Gaben zu füllen. An einer Art Galgen hing eine große Voodoo-Puppe, und auch ohne sein Zielfernrohr erkannte Coulbet an ihr die langen blonden Haare. Haare aus Bast.
Die Puppe, die Petra Herwarth darstellen sollte.
Coulbet legte das Gewehr an und blickte durch das Zielfernrohr. Er hatte zuerst Josephines Kopf voll im Fadenkreuz, dann schwenkte er weiter, betrachtete Jules' wie versteinert wirkendes Gesicht und tastete darauf weiter den Felsvorsprung ab, auf dem Totagan sich niedergelassen hatte. Das Meer schäumte an ihm empor, Gischt sprühte über die Felsnase, überall standen Kartons und Eimer herum, voll mit Voodoo-Zubehör. Auch ein Holzkäfig mit zwei noch lebenden, bunten Hähnen war darunter und ein nicht klar erkennbarer Haufen unter einer Decke.
Hinter einem hohen Felsstein ging Coulbet in Deckung und legte das Gewehr darauf. Er beobachtete wieder Josephine. Die Gischt durchnäßte sie völlig, ihr langes, schwarzes Haar klebte an Gesicht und Schultern, ihr Kleid war wie eine zweite Haut und zeigte ihren wunderbaren Körper. Sie hockte jetzt zwischen den Opferspießen und sah zu Onkel Jules hinauf, der mit ausgebreiteten Armen auf dem Felsen stand und zu den Göttern sprach. Der Wind riß an der Voodoo-Puppe und ließ die blonden Basthaare wie eine Fahne flattern.
Coulbet lag hinter seinem Gewehr und starrte durch das Zielfernrohr. Er sah, wie Jules zu dem Käfig ging, einen Hahn herausnahm, ihn hoch in die Luft und gegen den brausenden Ozean hielt, ihn dann an die Brust drückte und ihm den Kopf abbiß. Das Blut spritzte Totagan über Gesicht und Brust, er begann einen stampfenden Tanz im Kreis der Opferspieße, ließ den Hahnentorso dann ins Meer flattern und sprach mit ausgebreiteten Armen wieder mit seinen Voodoo-Göttern. Josephine saß unbeweglich daneben, die Beine angezogen, den Kopf in beide Hände gestützt.
Coulbet überlegte noch, ob er jetzt eingreifen sollte oder erst, wenn Jules die Voodoo-Puppe vom Galgen nahm. Plötzlich zuckte er zusammen, als habe ihn ein Schlag getroffen.
Totagan hatte die Decke weggerissen. Der unförmige Haufen darunter erwies sich als ein Mensch, ein Toter, der zusammengerollt auf dem Felsen lag.
Pierre Murat!
Coulbet atmete tief durch. Mein untrügliches Gefühl, dachte er stolz und bitter zugleich. Nun paßt alles zusammen, wie ich es von Anfang an geahnt habe. Der große Zauberer ist aus Liebe zu seiner Nichte zum Mörder geworden – nur, in seinen Augen ist dieses Opfer kein Mord, sondern eine Gabe für seine Götter. Das Gefühl der Schuld fehlt ihm völlig.
Frierend zog er die Schultern zusammen, als Totagan den schweren Körper aufhob, als sei es eine Kinderleiche,
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