Das Mädchen und der Zauberer
ist doch kein Greis!«
»Immerhin ist er sechsundvierzig Jahre.«
»Ein Baum im vollsten Saft!« Massenais sah Marie Lupuse nachdenklich an. »Hat er das wirklich gesagt? Sich zur Ruhe setzen?«
»So ähnlich, Comte.« Sie schwieg einen Augenblick. Unter ihnen, im Inneren der Yacht, knirschte es laut, so, als wenn man eine Wand heraushebelte. »Ich höre nächstes Jahr auf, hat er gesagt. Noch ein großes Geschäft, dann gehört die Welt und das Leben nur uns allein! Dann wollen wir auch heiraten.«
Massenais war so verblüfft, daß er sich alle Kommentare sparte. Weiß das blonde Dummchen überhaupt, welche Geschäfte sein Schatz macht? Weiß es nicht, daß man da nicht so einfach aussteigen kann wie aus einem Bus? Daß es völlig unmöglich ist, den Hut zu schwenken und zu sagen: ›Lebt wohl, ihr Lieben! Ab morgen könnt ihr mich alle kreuzweise!‹ Es gibt da ungeschriebene, unumstößliche, ja eherne Gesetze, die besagen, daß man einen solchen Beruf nicht mehr wechseln kann, daß nur der Tod das Vertragsverhältnis auflöst. Aber genau das war ja nicht im Sinne von Bataille. Er wollte leben! Leben ohne die großen Bosse im Rücken? Das wäre ein zu schönes Märchen …
»Viel Glück bei diesen Plänen!« sagte de Massenais zögernd. »Aber ich glaube nicht daran.«
»Warum nicht?«
»Fragen Sie da mal Roger, Marie …« Massenais schob die Beine auf die Planken und setzte sich. »Sie sind eine ungewöhnliche Frau. Und Sie gehen durchs Leben, als sei es ein einziges Fest. Das gefällt mir. Aber was Roger da plant – ich sage es Ihnen ganz ehrlich –, ist fast undurchführbar. Und gefährlich! Ich weiß nicht, welches große Ding er da noch vorhat, ich vermute, auf eigene Rechnung, und das ist geradezu tödlich! Roger ist ja nicht selbständig, er gehört, wenn man so sagen darf, zu einem Konzern! Und der Vorstand dieses Konzerns reagiert äußerst verärgert, wenn man Seitensprünge macht. Ich möchte Sie da heraushalten, Marie. Ich will nicht, daß Sie in diesen Sog hineingeraten.« Er beugte sich im Sitzen etwas vor, seine Stimme bekam einen beschwörenden Klang. »Bleiben Sie auf Martinique!«
»Ohne Roger?«
»Ja.«
»Wie stellen Sie sich das vor, Comte?«
»Es würde mich glücklich machen, Sie meinen Gast zu nennen.«
»Das heißt: Ihre Geliebte zu werden?« fragte sie direkt.
»Ich wollte es nicht so hart ausdrücken.« Massenais strahlte sie an. »Aber Sie sprechen es nun aus. Ja!«
»Aber ich kenne Sie ja erst zwei Tage.«
»Manchmal genügen zwei Minuten, um zu wissen: Hier bist du deinem Schicksal begegnet.«
»Sie übertreiben, Graf.«
Von unten kam jetzt ein kurzes Hämmern. Sie lauschten stumm auf das Geräusch, sahen sich dabei groß an und kamen sich durch diese Blicke näher. Als das Hämmern aufhörte, sagte Marie: »Ich denke, Sie sind Rogers Freund?«
»Eben darum. Roger ist dabei, eine Dummheit zu begehen, die ihn vernichten wird. Wenn ich ihn nicht davon abhalten kann – ich will nachher ernsthaft mit ihm reden –, will ich wenigstens Sie retten!«
»Sie reden immer von Gefahren, Comte. Ich sehe keine! Wo sind sie denn?«
»Das lassen Sie sich von Roger erklären. Ich möchte da nicht vorgreifen. Nur soviel, Marie: Die Gefahr sitzt in Florida.«
Am Niedergang erschien jetzt Bataille. Sein Gesicht war verschwitzt, sein Haar schweißverklebt. An Maries Reaktion sah Massenais, daß hinter ihm eine Veränderung stattgefunden hatte. Er drehte sich im Sitzen um und winkte Bataille zu.
»Kommen Sie mal runter, Comte?« rief Bataille.
Massenais erhob sich und legte sich ein Frottétuch um die Schulter.
»Überlegen Sie es sich, Marie«, sagte er leise. »Nicht erst, wenn Roger wirklich aussteigen will. Überlegen Sie jetzt!«
Unten im Salon stand Bataille an dem großen Tisch und hatte einige dünne, weiße Kuverts auf der blankpolierten Platte liegen. Es waren im ganzen zwanzig Briefchen zu je fünfzig Gramm reines Heroin, die beste Ware, die es auf dem Markt gab, nicht gestreckt mit harmlosem Calcium oder gar Puderzucker. Eintausend Gramm weißes Gift, zwei Pfund Wahn und Rausch, Verderben und Elend. Ein Kilo schleichender Tod. Comte de Massenais strich mit der flachen Hand über die ausgebreiteten Päckchen.
»Ich brauche sie ja nicht nachzuwiegen«, sagte er. »Der Preis wie bisher …«
»Mit zehn Prozent Aufschlag.«
»Oho! Wieso?«
»Es ist das Reinste, was auf dem Markt ist. Sie können daraus die dreifache Menge machen und haben immer noch die beste Ware.
Weitere Kostenlose Bücher