Das Mädchen und die Herzogin
Kleid klebte ihr an der Haut, und sie hätte sich gewünscht, es sich vom Leib reißen zu können wie die jungen Burschen vor ihr ihre Hemden. Die meisten von ihnen standen mit nacktem Oberkörper da, ihre sonnengebräunten Schultern und Rücken glänzten in der Sonne.
Als sich linker Hand eine schmale Lücke auftat und sie eben losstolpern wollte, stockte ihr der Atem. Keine drei Schritte entfernt stand Vitus, das Gesicht zur Seite gewandt, als suche er nach jemandem! «Vitus!», schrie sie, doch ihrer Kehle entrang sich nur ein Krächzen. Mit aller Kraft stieß sie die Menschen vor sich zur Seite, er verschwand aus ihrem Blickfeld, tauchte kurz darauf wieder auf, so nah fast, dass sie ihn berühren konnte, und dann sah sie es. Das Mal!
Wie angewurzelt blieb sie stehen. Unterhalb seines rechten Schulterblatts zeichnete sich ein sichelförmiges Muttermal ab – genau wie bei ihrem Sohn! Wie ein Blitzschlag kam ihr die Erkenntnis, dass nicht der Herzog der Vater ihres Kindes war. In ihren Ohren rauschte es. Warum nur war ihr nicht schon eher die Ähnlichkeit zwischen Vitus und ihrem Sohn aufgefallen?
Für einen kurzen Augenblick zögerte sie, noch immer fassungslos von dieser Entdeckung, dann streckte sie ihren Arm aus und bekam seine Schulter zu fassen. Er fuhr herum. Seine Augen weiteten sich vor Schreck, dann verzog er das Gesicht und schüttelte ihren Arm ab.
«Verschwinde, du Pfaffenhure!»
Sie starrte ihn an. Was hatte er da gesagt? Er versuchte, von ihr wegzukommen, doch sie hielt ihn fest.
«Ich hab mit dem Pfarrer nichts zu schaffen. So warte doch, Vitus. Du hast einen Sohn! Wir beide haben einen Sohn!»
In seinen Augen blitzte der Zorn. «Ich glaub dir kein Wort. Und jetzt lass mich in Ruh.»
«Du darfst nicht gehen!» Ihre Stimme wurde schrill. «Wir gehören doch zusammen.»
«Das ist vorbei.» Er stieß sie weg. «Ich werde Hedwig heiraten.»
Er bückte sich und tauchte in der Menge weg. Zweimal noch sah sie seinen hellbraunen Haarschopf, dann war er endgültig verschwunden. Im nächsten Moment stießen die Menschen ein ohrenbetäubendes Gebrüll aus. Die Hinrichtung war vollzogen, aber Marie sah und hörte nicht, was um sie vor sich ging.
«Lasst sie los!»
Die Trabanten gehorchten, und Marie rieb sich die Handgelenke. Sie hatte den Herzog am Tor vor dem Marstall abgepasst, sich ihm und seiner Leibwache mitten in den Weg gestellt, woraufhin zwei kräftige Männer sie sogleich in den Schwitzkasten genommen hatten.
«Komm her zu mir und sag mir, was du willst. Ich hab wenig Zeit.»
Fast freundlich schien sein Lächeln jetzt. Vorsichtig näherte sie sich dem riesigen Schimmel. Sie hatte sich immer schon ein wenig gefürchtet vor Pferden, und auch jetzt war es ihr alles andere als angenehm, dass Ulrich keine Anstalten machte abzusteigen. Wie eines dieser Fabelwesen, das sie vonFlugblättern her kannte, diese Pferd-Mensch-Wesen, erhob er sich vor ihr gegen den fahlen Abendhimmel.
«Gebt mir meinen Sohn heraus. Bitte! Er ist krank und braucht mich.»
Ulrich lachte.
«Was Heinrich braucht, bestimme ich.»
«Er ist nicht Euer Sohn.» Unwillkürlich ballte sie die Fäuste. «Er war es niemals, das kann ich beweisen.»
Ulrichs Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen, und das Lächeln war verschwunden. «Dann hast du dich von einem der Wärter pfeffern lassen? Sag mir, welcher es war, damit ich ihm die Kehle durchschneide.»
«Es war keiner der Wärter. Es ist vor der Zeit mit Euch geschehen.»
«Wer?», donnerte seine Stimme von oben herab.
«Ein Winzer», stotterte sie. O Gott, jetzt nur nichts Falsches sagen. «Ein Winzer aus meinem Dorf.»
«Du lügst! Im Schönbuch gibt es keinen Wein.»
Er ließ sein Pferd vor ihr auf und ab tänzeln. Marie wich zurück.
«Bitte, gebt ihn mir zurück. Ein Kind gehört zu seiner Mutter!»
«Falls es stimmt, dass der Bastard nicht von mir ist, bringe ich ihn um!»
«Nein!» Sie fiel auf die Knie. «Wenn Ihr mir auch nur ein klein wenig zugeneigt seid, gebt Eurem Herzen einen Ruck!»
«Zugeneigt? Was bildest du dir ein, du Bauernmetze!»
Marie sprang auf die Füße, als das Pferd vor ihr zu steigen begann.
«Ich flehe Euch an: Tut dem Jungen nichts zuleide. Alles, nur das nicht.»
«Dann verschwinde und lass dich nie wieder bei mir blicken.»
Er zog eine kurze Reitpeitsche aus seinem Stiefelschaft und schlug nach ihr.
«Weg mit dir – fort!»
Doch Marie blieb wie angewurzelt stehen. Ulrich gab einem der Reiter einen Wink, und der zog
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