Das Mädchen und die Herzogin
–?»
«Getauft ist er auf den Namen Eitel Heinrich, nach seinem Vater, dem Grafen Heinrich. Als Kind hat man ihm dann aber nicht nur die Eltern, sondern auch gleich noch seinen Namen genommen.»
Und der Ritter erzählte in wenigen Worten, wie von Anbeginn an dunkle Wolken Herzog Ulrichs Leben begleitet hatten: Als er im linksrheinischen Landesteil Reichenweiher auf die Welt kam, habe der Medicus ihn aus dem Bauch schneiden müssen, woraufhin seine Mutter wenige Tage später starb. Das allein sei für manch einen damals ein Fingerzeig gewesen, aus dem Reich der bösen Mächte. Doch es sei noch ärger gekommen.
«Nach dem schlimmen Tod der Mutter verlor Ulrichs Vater, ein Vetter des damals regierenden Herzogs Eberhard im Barte, vollends die Fassung und tobte und weinte tagelang. Schon lange galt er als ein wenig schellig und wunderlich, jetzt aber wurde er für wahnsinnig erklärt, für mondsüchtig, tyrannisch und gemeingefährlich.»
«War er denn wahnsinnig?»
«Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Das Schicksal hatte ihm eben übel mitgespielt. Im Burgunderkrieg war er gefangengenommen und zum Schein hingerichtet worden. Das und die jahrelange Haft im Anschluss hat er nie verwunden. Wie dem auch sei – Herzog Eberhard ließ den Tollen Heinrich, wie er seither hieß, drei Jahre nach Ulrichs Geburt von der Erbfolge in Wirtemberg ausschließen und auf der Festung Hohenurach einkerkern.»
Ungläubig lauschte Sabina Dietrichs Bericht von dem kleinen Eitel Heinrich, den sein herzoglicher Oheim als Säugling, nach zwei Entführungsversuchen seitens fremder Mächte, heimlich an den Stuttgarter Hof hatte bringen lassen, bei Sturm und Schnee, in einem Rückenkorb eines als Bauer verkleideten Ritters. In Stuttgart dann habe der kinderlose Eberhard im Barte ihn an Sohnes statt angenommen und standesgemäß erziehen lassen.
«Als Sechsjährigen hat man ihn bei der Firmung schließlich in Ulrich umbenannt, zu Ehren seines Großvaters Ulrich des Vielgeliebten. Es heißt, beim Umtaufen habe er geschrien und getobt: ‹Ich heiße Heinz. Ich heiße dennoch Heinz!› Und dann habe er nächtelang geweint und gejammert, er wolle zu seinem Vater nach Hohenurach. Trotzdem ist es später dann noch ärger gekommen. Als er neun Jahre zählte, starb nämlich sein Oheim.»
Fortan sei der künftige Landesherr, fuhr Dietrich fort undschritt dabei vor ihrem Sessel auf und ab, von einem zum andern gestoßen worden, ohne Bildung, ohne Erziehung, ohne feste Bindung überhaupt. Seine Vormünder hätten sich wohl mehr um ihren eigenen Vorteil gekümmert – der Knabe jedenfalls verwahrloste. In dieser Zeit habe sich wohl auch seine Wildheit, sein Starrsinn entwickelt. Tag und Nacht habe er sich manchmal draußen in der Natur herumgetrieben. Nur Musik sei ihm immer wichtig geblieben, und man habe ihn oft in seiner Einsamkeit laut und herzergreifend singen hören.
Dietrich setzte sich wieder. «Sein Schicksal hat sich erst wieder zum Guten gewendet, als Kaiser Maximilian, Euer Oheim, auf ihn aufmerksam wurde. Den Rest der Geschichte kennt Ihr selbst.»
«Und was ist aus Graf Heinrich geworden?»
«Wisst Ihr auch das nicht? Er lebt noch immer in seinem Gefängnis auf der Höhenfestung Urach. Nun allerdings darf er sich dort frei bewegen. Und immer wenn Ulrich Aufenthalt nimmt im Uracher Schloss, reitet er hinauf zu ihm auf die Burg.»
«Wie grausam! Der arme Mann muss den Lebensabend allein auf einer Bergfestung verbringen.»
Dietrich sah sie noch erstaunter an als eben schon: «Aber Heinrich lebt nicht allein. Seine zweite Gemahlin ist mit ihm, hat jeden Tag und jede Nacht der Gefangenschaft mit ihm geteilt. Zwei Kinder hat sie ihm dort oben geboren. Das alles, gnädige Fürstin, sind keine Geheimnisse.»
«Dann hat – dann hat Ulrich Geschwister?»
Sabina war jetzt vollkommen fassungslos. Nichts wusste sie über ihren Mann, rein gar nichts.
«Ja, Maria und Georg. Die beiden werden so dreizehn, vierzehn Jahre alt sein.»
«Mein Gott! Jetzt sagt mir bitte nicht, dass die ganze Familie des Grafen auf dieser Festung hausen muss.»
«Nun – ganz so arg ist es nicht. Die Kinder werden in der alten Residenz zu Urach erzogen. Ein hübsches kleines Jagdschloss, Ihr werdet es sicher bald kennenlernen. Georg als künftiger Graf wird dort in allen fürstlichen Sitten und ritterlichen Exerzitien unterwiesen, auch in Sprachen und Künsten.»
«Das alles ist unerhört! Nicht mal zu seiner Hochzeit hat Ulrich sie geladen – die eigenen
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