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Das Mädchen und die Herzogin

Das Mädchen und die Herzogin

Titel: Das Mädchen und die Herzogin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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nächsten Morgen Utz aufgesucht und ihm brühwarm von dem Vorfall erzählt. Von der Tracht Prügel hatte Lenz einen Tag lang nicht mehr sitzen können.
    Aber Marie vermochte darüber nicht einmal Schadenfreude zu empfinden. Sie zog sich immer mehr in sich zurück, überzeugt, dass sie vom Schicksal nichts mehr zu erwarten hatte. Auf immer und ewig würde sie in dieses Dorf verbannt sein, als Magd und alte Jungfer vertrocknen und versauern.
    Dann aber brachte der Herbst eine unerwartete Wende in ihr Leben. Zuerst starb der alte Dorfpfarrer. Der zänkische Gottesmann war nicht sonderlich beliebt gewesen, und bei seiner Pflicht, einmal wöchentlich den Schultheiß und die übrigen Honoratioren aus der Umgegend zu bewirten, soff er regelmäßig seine Gäste unter den Tisch. Oftmals sah man auch unbekannte Weibsbilder in seinem Pfarrhaus ein- und ausgehen, zur Predigt hingegen erschien er immer seltener.Schließlich hatte der Schultes beim Vogt um Ersatz gebeten, indes vergebens, waren der Vogt und der Pfaffe doch Jugendfreunde. Nur wenig später dann erledigte sich die Angelegenheit von selbst: Zu Allerheiligen, als ein eisiger Sturm durchs Dorf fegte, stolperte der Pfarrer nach draußen, um Wasser zu lassen und zerschmetterte sich volltrunken den Schädel am Türbalken.
    Der Sarg war kaum unter der Erde, als sein Nachfolger das Amt antrat: ein junger, schlaksiger Mensch, frisch von der theologischen Fakultät. Ungewohnt ernst nahm Pfarrer Muthlein seine Aufgabe, rief die Dörfler zweimal die Woche in den Gottesdienst und besuchte rundum jedes einzelne Schäfchen seiner Gemeinde, auch die Geringsten wie die Familie Schechtelin. Das Ungeheuerlichste indessen: Er hielt den Gottesdienst in deutscher Sprache!
    «Neue Besen kehren gut», spotteten die Leute, aber bald schon lernten sie zu schätzen, dass da einer war, der ihre Nöte ernst nahm.
    Es war in der Adventszeit, als ein Höker mit seinem Krimskrams mittags im Dorf aufkreuzte und nach Marie fragte. Er habe ein Schreiben für sie.
    «Aus dem Remstal.» Der Mann verzog den zahnlosen Mund zu einem Lächeln. «Von Eurem Liebsten.»
    «Von Vitus Beck aus Beutelsbach?»
    Der Krämer nickte und streckte ihr erwartungsvoll die offene Handfläche entgegen.
    «Ich hab nichts!» Ihre Hände zitterten so sehr, dass die Papierrolle zu Boden fiel. Rasch bückte sich der Mann und hob den Brief auf. Jetzt grinste er spitzbübisch.
    «Dann halt ein liebes Küssle.»
    Marie gab sich einen Ruck und küsste ihn rechts und links auf die lederharten Wangen. Dann verstaute sie ihren Schatzin der Rocktasche und eilte wieder zu ihrer Arbeit drinnen im Lichtkarz. Wenn nur schon bald Feierabend wäre. Doch was dann? Wer sollte ihr den Brief vorlesen? Sie selbst kannte zwar die meisten Buchstaben, vermochte auch, wenn es sein musste, ihren Namenszug zu kritzeln – doch wirklich lesen und schreiben konnte sie nicht.
    Da fiel ihr der junge Pfarrer Muthlein ein. Sie hatte zwar noch kaum ein Wort mit ihm gewechselt, doch er grüßte sie jedes Mal freundlich mit Namen, wenn sie sich begegneten. Vom ersten Augenblick an hatte sie ihn gemocht. Er würde ihr den Brief gewiss vorlesen.
    Wenige Stunden später klopfte sie, so laut sie konnte, gegen die Tür des Pfarrhauses. Oben steckte Casimir Muthlein seinen blonden Lockenkopf zum Fenster heraus.
    «Komm nur herein, Marie. Hinten zum Garten steht die Tür offen.»
    Kurz darauf saß sie mit einem Becher Roten am Küchentisch des Herrn Pfarrer, vor sich das auseinandergefaltete, grobe Papier mit all diesen winzigen Zeichen darauf. Zuoberst, neben einer Reihe von gemalten Herzen, entzifferte sie ihren Namen.
    «Da steht
Marie
.» Sie deutete auf die Buchstaben. «Mehr kann ich nicht lesen. Leider.»
    «Nun, dann wollen wir mal.»
    Er rückte das Schreiben in den Schein der Lampe und begann mit einer Leichtigkeit zu lesen, die für Marie an ein Wunder grenzte:
     
    Zu Beutelsbach im Remstal, den Montag nach Sankt Andreas anno 1512.
    Gott zum Gruße, herzallerliebste Marie! Ich gebe diese Nachricht einem Kleinkrämer mit, dem mein Vater für heute
Nacht Obdach gewährt, und so hoffe ich von ganzem Herzen, dass sie wohlbehalten bei dir eintrifft. Denn du musst wissen, dass ich dich nicht vergessen hab, dich auch niemals vergessen werde, weder dich, meine liebste Marie, noch unseren Eid.
    Dass ich dich nicht besucht habe, liegt einzig daran, dass ich nur noch des Sonntags zu Haus bin und ansonsten nach Heppach zu als Lehrbub arbeite. Mein Meister ist so

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