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Das Mädchen von San Marco (German Edition)

Das Mädchen von San Marco (German Edition)

Titel: Das Mädchen von San Marco (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katie Hickman
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so hingerissen, dass sie gar nicht bemerkte, wie still es im Wald geworden war. Kein Wesen rührte sich, nicht ein Vogel sang, aber Elena nahm es nicht wahr. Sie merkte auch nicht, dass die Stimmen der Frauen im Lager verstummt waren.
    Das Einzige, was Elena plötzlich wahrnahm, war ein schrecklicher Durst. Ihr Mund war mit einem Mal trocken und ihre Kehle wie ausgedörrt. Sie musste etwas von dem Wasser trinken, unbedingt! Aber sie zögerte noch immer, ganz an den Felsen heranzutreten. Panagia mou, da ist nichts, sei keine Närrin. Sie ging auf die Vertiefung zu, die sich am Fuße des Felsens gebildet hatte. Sie war mit vollkommen reinem, kristallklarem Wasser gefüllt. Elena tauchte die hohle Hand hinein und trank. Das Wasser war so kalt, dass es ihr an den Zähnen wehtat. Aber der Geschmack! Noch nie hatte sie solches Wasser gekostet. Sie trank und trank, bis ihre Lippen taub vor Kälte waren. Und dann hörte sie es noch einmal. Unverkennbar. Ein leises Bimmeln.
    Nur kam es diesmal von hinten.
    Elena schaute sich um, und ihr Blick fiel auf etwas Glänzendes. Vom Ast eines Baumes hing ein silbriger Gegenstand herab. Sie ging hin, um ihn aus der Nähe zu betrachten. Es war ein Amulett in Gestalt einer doppelschwänzigen Meerjungfrau. An ihrem Hinterleib hingen winzige Glöckchen. Elena hütete sich, das Amulett anzufassen.
    Und wieder klimperte es leise, es hörte nicht mehr auf. In der kurzen Zeit, die Elena in dem Wald verbracht hatte, war der Sonnenstrahl weitergewandert und fiel jetzt auf den Baum mit dem Amulett. Sie stellte fest, dass nicht nur ein Amulett daran hing, sondern unendlich viele. Jedes hatte die Gestalt einer doppelschwänzigen Meerjungfrau und war mit bunten Fäden an den Zweigen befestigt. Einige schwammen auf dem Rücken, andere bliesen in ein Horn. Die meisten hatten langes Haar, das hinter ihnen wogte, und waren unverkennbar weiblich, doch es gab auch ein paar Wassermänner mit kleinen Kronen auf dem Kopf. Am unteren Ende aller Amulette hing jeweils ein kleines Bündel von Glöckchen. Und obwohl sich im Wald nicht der leiseste Windhauch regte, schaukelten und tanzten sie an ihren Fäden wie lebendige Wesen.
    Das leise Gefühl von Unbehagen, das Elena schon vor einer Weile befallen hatte, wurde immer stärker. Sie durfte nicht hier sein, daran hatte sie nicht den geringsten Zweifel. Dieser uralte Hain, in den sie hineingestolpert war, war ein heiliger Ort. Unwillkürlich bekreuzigte sie sich noch einmal und blickte nervös über die Schulter, da sie glaubte, hinter einem Baum ein Hüsteln gehört zu haben. War da doch jemand? Was würden sie mit ihr machen, wenn sie sie hier fänden? Sie hatte aus der Quelle getrunken! Die Stille, die anfangs so friedlich gewirkt hatte, wurde jetzt bedrückend. Elena meinte zu spüren, dass sie durch die Bäume hindurch beobachtet wurde. Da waren Augen – überall waren Augen – und alle auf sie gerichtet. Sie beobachteten sie heimlich, kein Zweifel …
    Elena begann zu rennen.

Kapitel 22
    »Das war’s …«
    »Vorsichtig mit dem Kopf.«
    »Kannst du die Kleinen nehmen?«
    »Das war’s. Sachte, sachte – nein, nicht dorthin – hierher – ja, so ist es schon besser.«
    Als Elena wieder zu sich kam, lag sie im Schatten ihres kleinen Vorzeltes.
    »Was ist passiert?« Maryam beugte sich über sie, ihr Gesicht war blass und angespannt. »Wollte dir jemand etwas tun?«
    Zuerst vermochte Elena nicht zu sprechen, sich nicht zu erinnern, was geschehen war. Dann sah sie vor ihrem geistigen Auge wieder die kleinen silbernen Amulette, die Wassermänner und Meerjungfrauen, die sich in dem windstillen Wald an ihren Fäden bewegten. Für einen Augenblick überkam sie erneut die panische Angst, die bedrohliche Gewissheit, von unsichtbaren Augen beobachtet zu werden. Zitternd griff sie nach Maryams Hand.
    »Na los, du kannst es mir ruhig sagen!« Aus Maryams normalerweise sonnengebräuntem und wettergegerbtem Gesicht war jede Farbe gewichen. Sie hielt Elenas Hand fest in der ihren. »Haben sie dich angefasst?«
    »Nein, nein, nichts dergleichen.« Beim Anblick von Maryams besorgtem Gesicht brachte Elena sogar ein kleines Lächeln zustande. »Es war dunkel. Ich habe mir selbst Angst eingejagt.«
    »Diese Wälder …« Maryam blickte nervös in Richtung der Bäume. »Ich habe sie noch nie gemocht.«
    »Maryam, wir können hier nicht bleiben, wir müssen diesen Ort sofort verlassen.«
    Als Elena ihr erzählte, was sie im Wald gesehen hatte, wurde ihre Freundin

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