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Das Mädchen von San Marco (German Edition)

Das Mädchen von San Marco (German Edition)

Titel: Das Mädchen von San Marco (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katie Hickman
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offenen See hin, da wo das Mondlicht das Wasser versilberte, spielten zwei Delphine im Meer und sprangen gemeinsam in die Höhe.
    Sie beobachtete sie eine Weile lang verzückt. Und auf einmal überkam sie wieder das Gefühl des Fallens, des sich Drehens und Auftauchens, und dann war ein weiteres Teil des Mosaiks gefunden.
    Es war eine heiße Sommernacht gewesen, genau wie diese, und sie hatten einen Ausflug ans Marmarameer gemacht, um die Delphine beim Herumtollen zu beobachten.
    Sie saßen in einem kleinen Boot – Teil einer Flotte kleiner Boote, die alle von Lampions erhellt waren wie Glühwürmchen. Die Luft duftete nach Rosen. Musik und Gelächter hallten über das Wasser. Vor ihnen segelte das Prunkschiff der Valide, das Heck war mit kostbaren Steinen ausgelegt – Elfenbein und Perlmutt, Walrosszähne und Gold. Da waren auch Gülbahar, Türkan und Fatma. Und natürlich Aysche … Celias Herz machte einen Satz. Aysche!
    Aber Aysche hatte noch einen anderen Name gehabt, oder?
    Aysche. Annetta.
    Annetta. Aysche … Und was weiter?
    Sie grübelte, aber es half nichts. Genauso unvermittelt, wie der Gedankenstrom eingesetzt hatte, verebbte er auch wieder. Die schöne Vision löste sich auf wie ein Traum. Je mehr sie versuchte, daran festzuhalten, desto schneller verblasste sie. Celia lag wieder auf dem knarrenden Schiff, ihre Haare und Kleider waren verklebt vom Meersalz, und neben ihr atmeten die Gauklerinnen schwer im Schlaf.
    Sie spürte, wie sich in dem kleinen Lumpenbündel neben ihr etwas rührte. Der Säugling gab eine Art Miauen von sich, das eher zu einem Kätzchen als zu einem Kind gepasst hätte.
    Wach nicht auf, bitte, wach nicht auf, noch nicht . Sie hob das Bündel hoch und hielt es unbeholfen im Arm, nicht an der Brust oder am Herzen, wie eine Mutter es hätte tun sollen. Sie hoffte, dass die Bewegung es wenigstens noch für ein Weilchen in den Schlaf wiegen würde.
    Das Kind beruhigte sich rasch, und Celia legte es neben sich, aber auf die andere Seite, in die Nähe der Reling. Etwas zu nahe an die Reling. Sie blickte sich um. Die dunklen Leiber der Frauen lagen reglos in einer Reihe.
    Als Celia so allein im Mondschein saß, überkam sie ein unendliches Gefühl von Verlassenheit. Sie und das Kind, so schien es ihr, waren die einzigen echten Lebewesen in Gottes großem Universum. Eine so tiefe Verzweiflung ergriff sie, dass sie meinte, es nicht mehr ertragen zu können. Unter ihr klatschte das Meer leise gegen die Schiffswand.
    Mit Mühe schob sie sich noch näher zur Reling und lehnte sich hinüber. Unter der silberglänzenden Oberfläche war das Wasser tief und schwarz. Das Kind lag jetzt gefährlich nahe am Rand. Celia streckte die Hände aus, um es vorsichtig zu sich heranzuziehen – und verharrte für einen Augenblick unschlüssig.
    Niemand würde es sehen, niemand würde es fallen hören. Schließlich würde ich es nur den Tiefen des Meeres zurückgeben, dachte sie. Sie stellte sich das Bild vor: ein kleines Lebewesen, das frei durch das Wasser schwimmt und springt, frei wie ein Delphin durch die mondbeglänzten Wellen.
    Maryam wachte kurz vor Tagesanbruch auf. Der Platz, an dem Celia normalerweise schlief, war leer, und als sie sie suchte, stellte sie fest, dass die junge Frau sich zum Vordeck gezogen hatte und wieder einmal in dem bestickten rosaroten Beutelchen auf ihrem Schoß kramte.
    Mühsam, mit schmerzenden Gelenken, erhob sich Maryam, ging zu ihr und setzte sich neben sie.
    »Wonach suchst du?«, fragte sie flüsternd, »wonach suchst du nur immer? Hast du etwas verloren?«
    Celia blickte unglücklich zu ihr auf. »Ich weiß es nicht. Ich glaube, dass etwas hier drin gewesen ist, etwas, das ich gut und sicher aufbewahren sollte, etwas sehr Wertvolles. Aber jetzt ist es nicht mehr da. Weißt du, was hier drin war?«
    Maryam schüttelte den Kopf. Sie nahm das Beutelchen in die Hand. Es verschwand fast in ihren riesigen Pranken.
    »Du hattest es von Anfang an bei dir, als wir dich gefunden haben.« Sie stülpte das Beutelchen von innen nach außen und untersuchte das schwarze Seidenfutter. »Aber es war leer. Erinnerst du dich, wo du es bekommen hast?«
    Celia lächelte. »Aber natürlich! Alle Haremsdamen hatten eines. Jede cariye, sogar die Valide. Wir trugen immer eines am Gürtel. Wir haben unser Taschengeld hineingesteckt …« Sie verstummte, als hätte die Erinnerung an etwas so Belangloses ihr die Sprache verschlagen.
    »Dann war da Geld drin?«, fragte Maryam vorsichtig.

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