Das Mädchen von San Marco (German Edition)
genügend Geld zu verlieren hat.«
»Oh, Gott sei Dank, dann haben wir ja noch Zeit.«
»Wofür?«
»Ihn davon abzuhalten, natürlich.«
Carew starrte sie an, als habe er eine Verrückte vor sich. »Niemand wird ihn davon abhalten können.«
Rasch berichtete Carew ihr von dem Gespräch zwischen Paul und Prospero Mendoza, das er in jener Nacht im Ghetto belauscht hatte. Jene Geschichten über die Frau, die ihren Schmuck verkaufte und die angeblich einmal im Harem des Sultans gelebt hatte, und über den mysteriösen Mann aus Konstantinopel, der den Diamanten beim Kartenspiel verloren hatte und dann verschwunden war.
»Und glaubt Paul, dass diese beiden irgendwie zusammengehören?«, fragte Constanza entgeistert. »Aber wie?«
»Er weiß es nicht mit Sicherheit – niemand weiß es –,aber es wäre doch ein sehr merkwürdiger Zufall. Und es gibt noch etwas, das Ihr wissen solltet.« Carew erzählte ihr in wenigen Worten von der Inschrift auf dem Stein. »Prospero meint, dass der Blaue Stein des Sultans ein ganz besonderer Edelstein ist, er hält ihn für magisch. Weil Pindar in der Lage war, die Inschrift zu entziffern, was sonst niemand konnte, ist er davon überzeugt, dass der Diamant ihn irgendwie zu Celia führen wird, oder wenigstens zu Neuigkeiten über sie.«
Constanza schwieg für eine Weile. »Ihr habt gesagt, dass der geheimnisvolle Mann aus Konstantinopel verschwunden ist. Aber was ist mit der Haremsdame?«
»Es sieht so aus, als ob diese Dame entschieden hat, ihr zurückgezogenes Leben fortzusetzen, und Zuflucht in einem unserer Klöster genommen hat. Das ist die Nachricht, von der ich hoffte, dass Ihr sie ihm übermitteln könnt. Seht her.« Carew griff in sein Hemd und holte das Samtbeutelchen der Nonne heraus. »Ich glaube, ich habe diese Haremsdame gefunden.«
»Und dennoch behauptet Ihr, dass Ihr nicht mit ihr gesprochen habt?«
Der kleine Beutel lag auf Constanzas Handfläche – rosaroter Samt, bestickt mit Silberfäden im osmanischen Stil. Sie untersuchte ihn sorgfältig. Er ließ sich mit einer Kordel verschnüren und hatte ein schwarzes Futter und lange Bänder, mit denen er an einem Taillengürtel befestigt werden konnte. Das Gewebe war recht steif, als ob es noch mit einem anderen Material, Papier oder Pergament, verstärkt wäre.
»Nein, im Grunde nicht.«
»Was meint Ihr mit ›im Grunde nicht‹? Wisst Ihr wenigstens, wie sie heißt?«
Carew starrte zu Boden.
Annetta . Er kannte immerhin ihren Namen. Ihr Name ist Annetta . Er konnte sich nicht dazu überwinden, ihn laut auszusprechen. Wie oft hatte er diese wenigen Minuten im Garten schon im Geiste durchlebt – das Gefühl, als er sie zum ersten Mal richtig sah, die dunkle Haarsträhne und das Muttermal auf dem Wangenknochen. Und er war beiseitegetreten und hatte sie gehen lassen – was war nur in ihn gefahren? Er hatte tatenlos zugesehen, wie sie sich von ihm entfernte und aus seinem Blickfeld entschwand.
»John Carew, hört Ihr mir zu? Ich habe gesagt, dass Ihr offenbar keinen schlüssigen Beweis habt.« Constanzas Worte unterbrachen seine Träumereien. »Wie könnt Ihr Euch so sicher sein, dass sie es ist?«
»Ich war mir nicht sicher – jedenfalls nicht sofort.« Er nahm der Kurtisane den Beutel wieder ab, hielt ihn an die Nase und schnupperte daran. Was hatte er sich erhofft? Dass dem Stoff noch irgendetwas von ihr anhaften würde, der Duft ihres Parfums vielleicht? Aber er roch nichts.
»Ich bin mir ziemlich sicher, dass es genau der gleiche Beutel ist wie der, in dem Memmo den Diamanten aufbewahrt.«
»Ist das alles? Davon könnte es Hunderte geben.«
»Nein, es gibt noch etwas anderes.« Carew zögerte. »Ich bin erst später darauf gekommen. Es ist die Art, wie sie geht.«
Constanza starrte ihn an. »Und wie genau geht sie?«
»Als ich in Konstantinopel war, habe ich einmal ein paar Frauen im Harem des Sultans beobachten können. Durch ein Loch in der Mauer.« Er bemerkte Constanzas Blick. »Es ist eine lange Geschichte.«
»Madonna!« Constanza schüttelte ungläubig den Kopf. »Schon damals ein monarchino! « Sie schien sich darüber zu amüsieren, aber als sie Carews Gesicht sah, wurde sie wieder ernst. »Nun, diese Haremsdamen haben also einen charakteristischen Gang, meint Ihr das?«
»Ja, es ist eine Art wiegender Bewegung, eine bestimmte Art, wie sie die Hüften schwenken – schwer zu beschreiben, aber unverwechselbar. Ich wusste, dass mir irgendetwas an der Frau im Kloster bekannt vorkam,
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