Das Mädchen von San Marco (German Edition)
Aristokratin gewirkt. Annetta war eingeschüchtert gewesen. Wie die anderen Nonnen aus hochgestellten Familien sprach Caterina ihre Standesgenossinnen – darunter befanden sich ein Tante und mehrere Cousinen – mit Signora, meine Dame, statt mit dem üblichen suora, Schwester, an. Sie und ihresgleichen hätten es sich nicht im Traum einfallen lassen, die Einheitstracht anzulegen, die die Klosterregel eigentlich vorschrieb. Alles, was sie am Leibe trug, hatte sie bei ihrem Eintritt in ihrer cassa mitgebracht: Seide, Spitze und Leinen der besten Qualität, vergleichbar der Aussteuer einer Braut, wunderschön genäht und mit Monogramm bestickt.
Aber nicht nur die Qualität der Gewänder, sondern vor allem die Art und Weise, wie sie sie trug, hatte bei Annetta großen Eindruck hinterlassen. Entgegen den Kleidervorschriften des Ordens hatte Caterina den schwarzen Schleier über den Scheitel hochgezogen, sodass das blonde Haar darunter hervorschaute und sich zwei Locken über die Wangen ringelten. An den Füßen trug sie hochhackige Trippen, das Mieder war so weit heruntergezogen, dass die Wölbung ihrer kleinen Brüste unbedeckt war, und ein mit Rubinen und Smaragden besetztes Kreuz hing an einer Goldkette um ihre Taille.
Von allen Chornonnen war Caterina Annetta im Alter am nächsten. Annetta hatte in den ersten Tagen nach ihrer Rückkehr aus Konstantinopel den Fehler gemacht, ihr nachzueifern, indem sie Spitzenbesatz, Trippen und mit Goldfäden bestickte Seidenstrümpfe trug. Darüber hinaus hatte sie versucht, sich mit ihr anzufreunden. Ihre Annäherungsversuche waren jedoch gnadenlos abgewiesen worden. Caterina gab ihr überdeutlich zu verstehen, dass sie als ehemalige conversa immer noch den Status eines Dienstmädchens innehatte. Als Emporkömmling würde sie nie gut genug sein, um mit Chornonnen zu verkehren, und schon gar nicht mit den ›Gräfinnen‹. Keine noch so große Mitgift – und mit dreitausend Dukaten war Annettas Mitgift die größte, die das Kloster jemals erhalten hatte – würde ihre Herkunft wettmachen. In den folgenden Wochen hatte Annetta gelernt, sich vor dem schläfrigen Blick zu hüten, unter dem sich ein stolzes und boshaftes Wesen verbarg.
Nun stand Suor Caterina am Eingang zu Suor Veronicas Zimmer.
»Ihr habt Besuch, suora «, wiederholte sie.
Sie raffte ihre Röcke und klemmte sie als Schutz vor dem Staub geziert zwischen zwei Finger. In der anderen Hand hielt sie ein kleines Spitzentaschentuch, das sie gegen die Nase presste, um sich gegen den Farbgeruch zu schützen. Die neugierigen Blicke, die sie in Veronicas Atelier warf, verrieten, dass sie selten, wenn überhaupt, so tief in die inneren Bereiche des Kräutergartens vorgedrungen war. Annetta hatte beobachtet, wie sie manchmal, Arm in Arm mit einer ihrer Cousinen, in den Abendstunden unter den Linden spazieren ging. Im Herbarium jedoch, oder gar in Suor Veronicas Werkstätte, hatte sie sich sicher noch nie blicken lassen.
»Ein Besucher, suora« , wiederholte Caterina abermals, »im Empfangszimmer.« Als Antwort auf Annettas fragenden Blick fügte sie hinzu: »Er sagt, er habe eine Botschaft von einem gewissen Prospero Mendoza für Euch.«
Obwohl sie einen halben Kopf kleiner als Annetta war, gelang es Suor Caterina immer, den Eindruck zu erwecken, als blicke sie aus illustrer Höhe auf ihre Mitschwestern herab. Unter den schwarzen Gewändern raschelten ihre Unterröcke aus spitzenbesetzter Seide. Auch in dieser Hitze, dachte Annetta neidisch, wirkte sie makellos und frisch wie eine Meeresbrise.
Während Annetta Caterina folgte, fragte sie sich, was wohl mit der eigentlichen Pförtnerin, Suor Chiara, geschehen sein mochte. Normalerweise waren sich die contesse zu schade für derart banale Botengänge und höchst erfinderisch darin, sie zu umgehen. Außerhalb der obligatorischen Andachtsstunden in der Kapelle verbrachten sie die meiste Zeit damit, sich gegenseitig in ihren Zellen zu besuchen, wo sie das Obst und das Zuckerwerk verzehrten, das ihnen täglich von ihren Verwandten auf dem Festland geliefert wurde. Sie interessierten sich nicht für den Garten und hatten für ihre hart arbeitenden Mitschwestern wie Veronica und Annunciata, die mit schwieligen Händen und fleckigen Gewändern umherliefen, nur eine Mischung aus Mitleid und Verachtung übrig. Bei den wenigen Gelegenheiten, zu denen sie gezwungenermaßen am normalen Klosterleben teilnehmen mussten, kümmerten sie sich, wie alle wussten, kaum um die Einhaltung
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