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Das Mädchen.

Das Mädchen.

Titel: Das Mädchen. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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beruhigt hatte. Und die Unterleibskrämpfe waren ebenfalls abgeklungen. Der Mond war untergegangen. Tom Gordon war verschwunden. Natürlich war er nie wirklich dagewesen, das wußte sie, aber ...
    »Diesmal hat er richtig wirklich ausgesehen«, krächzte sie. »So wirklich wie echt. Wow!«
    Trisha stand auf und ging langsam zu dem Baum zurück, an dem ihr Unterschlupf gelehnt hatte. Obwohl sie sich am liebsten nur auf den Nadeln zusammengerollt hätte, um gleich so einzuschlafen, stellte sie die Zweige wieder auf und kroch darunter. Fünf Minuten später schlief sie wie eine Tote. Während sie schlief, kam etwas und beobachtete sie. Es beobachtete sie lange Zeit. Erst als am Himmel im Osten ein heller Streifen Tageslicht erschien, trollte es sich - aber es entfernte sich nicht weit.

SECHSTER DURCHGANG

Als Trisha aufwachte, sangen die Vögel voller Zuversicht. Das Tageslicht war stark und hell, es mußte früher Vormittag sein. Sie hätte sogar noch länger schlafen können, aber das ließ ihr Hunger nicht zu. In ihrem Inneren toste eine große Leere von der Kehle bis ganz hinunter zu den Knien. Und genau in der Mitte tat es weh, richtig weh. Es war, als würde sie irgendwo dort drinnen gezwickt. Dieses Gefühl erschreckte sie. Sie war schon früher hungrig gewesen, aber nie so hungrig, daß es auf diese Weise weh getan hätte.
    Sie kroch rückwärts aus ihrem Unterschlupf, der dabei wieder zusammenfiel, stand auf und humpelte zum Bach, wobei sie ihre Hände ins Kreuz preßte. Wahrscheinlich sah sie wie Pepsi Robichauds Großmutter aus, die eine, die taub war und so schlimm Arthritis hatte, daß sie ein Laufgestell benutzen mußte. Granny Grunz, so nannte Pepsi sie. Trisha ließ sich auf die Knie nieder, stützte sich auf beide Hände und trank wie ein Pferd an der Tränke. Wurde ihr vom Wasser wieder schlecht, was zu befürchten war, konnte sie's nicht ändern. Sie mußte ihren Magen mit irgendwas füllen.
    Sie stand auf, sah sich mit glanzlosem Blick um, zog ihre Jeans hoch (sie hatten gut gesessen, als Trisha sie sich vor einer Ewigkeit in ihrem Zimmer im weit entfernten Sanford angezogen hatte, aber jetzt schlotterten sie an ihr herum) und setzte sich dem Bach folgend hügelabwärts in Bewegung. Sie hegte keine wirkliche Hoffnung mehr, er werde sie aus dem Wald führen, aber sie konnte wenigstens etwas Abstand zwischen sich und Trishas Kotz-Kate bringen; das war zu schaffen.
    Sie war etwa hundert Schritte weit gekommen, als die taffe Tussi sich meldete. Hast was vergessen, stimmt's, Herzchen? Heute klang die taffe Tussi zwar auch wie eine müde werdende Tussi, aber ihre Stimme war trotzdem so kalt und ironisch wie zuvor. Ganz zu schweigen davon, daß sie recht hatte. Trisha blieb einen Augenblick mit gesenktem Kopf stehen, die Haare fielen ihr ins Gesicht, dann machte sie kehrt und stapfte mühsam bergauf, zurück zu ihrem kleinen Nachtlager. Unterwegs mußte sie zweimal haltmachen, damit ihr jagendes Herz sich wieder etwas beruhigen konnte; sie war entsetzt darüber, wie wenig Kraft sie noch besaß.
    Sie füllte ihre Wasserflasche, verstaute sie mitsamt den Resten ihres zerfetzten Ponchos in ihrem Rucksack, seufzte den Tränen nahe über sein Gewicht, als sie ihn auf den Rücken nahm (das verdammte Ding war doch praktisch leer, um Himmels willen), und brach wieder auf. Sie ging langsam, jetzt mit fast schwerfälligen Schritten, und obwohl sie in abfallendem Gelände unterwegs war, mußte sie ungefähr alle Viertelstunde stehenbleiben und rasten. Sie hatte pochende Kopfschmerzen. Die Farben ihrer Umgebung wirkten alle zu grell, und als ein Eichelhäher auf einem Ast über ihr seinen Warnruf ausstieß, war es wie Nadeln in ihren Ohren. Sie stellte sich vor, Tom Gordon sei bei ihr und leiste ihr Gesellschaft, und nach einiger Zeit brauchte sie sich das nicht mehr vorzustellen. Er ging neben ihr her, und obwohl sie wußte, daß er nur eine Halluzination war, sah er bei Tageslicht ebenso real aus, wie er es im Mondschein getan hatte.
    Gegen Mittag stolperte Trisha über einen Felsbrocken und fiel der Länge nach in ein dorniges Gestrüpp. Dort blieb sie liegen - durch den Sturz außer Atem und mit so wild hämmerndem Herzen, daß weiße Lichter vor ihren Augen tanzten. Ihr erster Versuch, aus dem Gebüsch wieder herauszukommen, schlug fehl. Sie wartete, ruhte sich aus, konzentrierte sich mit halb geschlossenen Augen auf die Stille und versuchte es dann nochmals. Diesmal konnte sie sich aus dem Gestrüpp befreien,

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