Das Maedchengrab
Verlegenheit bringen.«
Fine überreichte das Geldstück. »Herr, ich möchte, dass Ihr es für mich aufbewahrt. Gebt es mir zurück, wenn ich es für etwas Wichtiges brauche und euch darum bitte.«
»Gewiss, mein Kind. Das ist ein guter Gedanke«, der Oberlandbauer nahm den Taler an sich.
»Und da ist noch etwas, Herr Vormund.«
»Ja?«, fragte er nun mit gewisser Ungeduld, denn offenbar hielt er die Sache für erledigt.
Doch Fine brachte vor, was ihr noch auf dem Herzen lag: »Es ist mir unheimlich auf den Hollerwiesen, darum will ich dort nicht länger sein und auch nicht mehr die Gänse hüten. Gebt mir bitte eine andere Arbeit.«
Der Oberlandbauer zeigte sich erstaunt. »Jetzt übertreibst du, Fine. Die Hollerwiesen sind auch für ein junges Mädchen ein sicherer Ort. Und ein Lohbauer, der dir aus Mitleid einen Taler schenkt, bringt gewiss kein Unheil über die Wiesen.«
Fine nickte. »Es ist auch wegen dem, was Ihr mir am Anfang sagtet, Herr Vormund. Ich sehe es inzwischen ein. Das Gänsehüten ist eine niedere Arbeit, und die Leute im Dorf verlachen mich deswegen, auch wenn sie es mir nicht direkt zeigen. Auch darum will ich den Hütedienst lieber beenden.«
Sichtlich verärgert legte der Oberlandbauer die Stirn in Falten. »So einfach ist das nicht, Fine. Jetzt zur Erntezeit lässt sich schwerlich ein Ersatz für dich finden. Bis zum nächsten Frühjahr wird sich wohl ein neuer Gänsehirt auftun. Aber einige Wochen wirst du noch damit weitermachen müssen. Schließlich verlassen sich die Leute auf dich.«
Dem hatte Fine nichts entgegenzusetzen. Sie musste die Entscheidung ihres Vormunds annehmen und bis in den Herbst hinein den Gänsedienst versehen. Selbst wenn sie dabei erneut dem Lohbauern begegnen sollte.
Dankend verabschiedete sie sich und kehrte in Marjanns Haus zurück. Weil sie die alte Frau nicht beunruhigen wollte, verschwieg sie auch ihr gegenüber den Vorfall mit dem Taler. Doch wohl war Fine dabei nicht.
Mit einem unguten Gefühl setzte sie am nächsten Morgen den Dienst auf den Hollerwiesen fort. Immer wieder starrte sie auf das Waldstück, aus dem am Vortag der Wagen des Lohbauern gekommen war. Zu ihrer großen Erleichterung erschien er an diesem Tag nicht.
Bald taten sich die ersten Stoppelfelder auf. Wo vor Kurzem noch wogendes Getreide gestanden hatte, wurde es nun kahl. Die Zeit wandelte sich, der Sommer ging endgültig zur Neige. Fine hatte in ihrem Hütedienst gut zu tun. Manchmal drängten sich die Gänse in kecker Zudringlichkeit an die beladenen Erntewagen und rupften manche herunterhängende Ähre ab. Dann gab es viel Gelächter, und Fine musste die Gerte einsetzen. So verbrachte sie die folgenden Wochen. Nach wie vor fürchtete sie, dass der Lohbauer den Feldweg entlangkommen könnte. Aber er begegnete ihr kein weiteres Mal.
Der Herbst schritt voran. Es sollte nicht mehr lange dauern, bis die Gänse zurück in ihre Ställe sollten. Doch bevor es soweit war, kam auf sie noch eine besondere Aufgabe zu. Damit die Gänse vorm Martinstag noch ordentlich in ihrer Fettschicht zulegten, durften sie nicht länger auf den Hollerwiesen bleiben, denn hier waren die besten Blätter abgerupft. Fine musste sie hinausführen auf die abgemähten Klee- und Getreidefelder. Die Vögel labten sich an dem, was Sichel und Sensen stehen gelassen hatten, und Fine konnte dabei zusehen, wie sie fetter und fetter wurden. Allerdings hatte sie auf dem fremden Gelände auch mehr zu tun, denn hier ließ sich die Herde nicht so leicht zusammenhalten. Wenn sie abends die Tiere zurück auf die Hollerwiesen scheuchte, schnatterten sie laut und ohne Unterlass. So als wollten sie sich gegenseitig erzählen, wie köstlich der Ausflug auf die Felder gewesen war. Wieder im Pferch zeigten sie sich dann bald müde vom anstrengenden Fressen, steckten die Schnäbel unter die Flügel und träumten vor sich hin.
Obwohl Fine sich anfangs über die Dummheit der Gänse geärgert hatte, waren ihr die Tiere im Laufe des Sommers doch ans Herz gewachsen. Mit leiser Wehmut dachte sie daran, dass für die meisten von ihnen dieser Schmaus der letzte sein würde. Stattdessen sollten sie als Braten den Menschen bald selbst großen Genuss bereiten, und auch Fine freute sich auf eine Gänsekeule zum Martinstag.
Das Wetter blieb mild. Fine brauchte ihre ungeheizte Kammer im Schuppen nicht so bald gegen den Schlafplatz in Marjanns Haus einzutauschen. Noch hielt sie es gut aus in ihrem eigenen Gemach – wenn auch nur unter einem
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