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Das Maedchengrab

Das Maedchengrab

Titel: Das Maedchengrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadja Quint
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nicht sagen können, wer dieser Mann war. Dem stattlichen Äußeren seines Wagens nach zu urteilen, schien er reich zu sein.
    Wie er Fine bei den Gänsen sah, hielt er an und rief ihr zu, dass sie ihm einen Krug Wasser bringen sollte.
    Fine zögerte. So etwas hatte sie noch nicht erlebt. Jeder, der hier Wasser haben wollte, unterzog sich der kleinen Mühe, die zweihundert Fuß vom Feldweg bis zum Brunnen zu gehen. Nie hatte Fine das Wasser so weit bringen müssen.
    Doch der Mann auf dem Fuhrwerk machte keinerlei Anstalten, abzusteigen und zur Pumpe zu kommen. Er winkte weiter und rief ihr freundlich zu: »Wasser, Mädchen! Einen Krug!«
    Einen Moment lang überlegte Fine, ob sie sich von der Gänseherde entfernen konnte. Da aber alle Tiere friedlich ihr Gras zupften, gab sie dem Drängen des Bauern nach. Sie füllte Wasser ab, lief damit quer über die Wiese zum Fuhrwerk und überreichte den Krug.
    »Ah!«, freute er sich, nachdem er eine guten Zug getan hatte. »Es gibt doch in der ganzen Welt kein solches Wasser mehr.«
    Er trank erneut und gab dankend den Krug zurück.
    Voller Stolz entgegnete Fine: »Das Wasser ist frisch und gesund, und wenn Ihr einen Eimer dabei habt und Eure Pferde tränken wollt: Für die ist es besonders gut.«
    »Du meinst es sicher recht, Kind«, meinte er leutselig. »Aber meine Gäule sind heiß und dürfen jetzt nicht saufen, sonst werden sie krank«, und während er Fine wohlwollend ansah fragte er: »Bist du von Reetz, Mädchen?«
    Fine antwortete nicht gleich, ihr war noch immer nicht in den Sinn gekommen, wer der Bauer sein könnte. Aber ihre Neugierde trieb sie an. Zu gern wollte sie erfahren, mit wem sie es da zu tun hatte. Um etwas über den Mann herauszufinden, musste sie sich auf das Gespräch einlassen, soviel war ihr klar. Darum sagte sie freimütig: »Ja, ich bin aus Reetz.«
    »Und wie heißt du?«
    »Josefine Aldenhoven.«
    »Aha!«, meinte der Bauer nun verständig. »Aldenhoven also. Dein Vater war der Hauerfranz. Der uns leider vor ein paar Jahren verlassen hat.«
    »Ihr kanntet ihn?«, fragte Fine erstaunt.
    »Sicher. Er hat doch einige Zeit als Anderknecht beim Oberlandbauern gedient. Ein guter Mann, dein Vater. Schade drum. Um seine Frau auch.«
    Sie nickte, und die beiden schwiegen einen Moment. Während Fine die Worte des fremden Mannes auf sich wirken ließ, fiel ihr endlich ein, wer er war: der Lohbauer! Der reiche Gutsbesitzer aus Freilingen und ehemalige Lohnherr von Lisbeth! Der im Rufe stand, etwas mit ihrem Tod zu tun zu haben! Ein heftiger Schrecken durchfuhr Fine, doch blieb sie äußerlich ruhig.
    Der Lohbauer schien nicht zu spüren, was in dem Mädchen vor sich ging. Er kam wieder auf Fines Vater zu sprechen: »Ich habe ihn gut gekannt. Es ist übles Schicksal, dass er so früh sterben musste.« Der Bauer griff in die Tasche und holte einen großen Lederbeutel heraus. Dort suchte er einen Taler und wollte ihn Fine reichen.
    Doch sie streckte nicht ihre Hand danach aus. »Das ist doch viel zu viel«, entgegnete sie mit Bestimmtheit. »Und ich will auch nichts geschenkt. Das Wasser habe ich Euch gern gebracht, das war selbstverständlich. Ich danke Euch, aber ich nehme dafür nichts.«
    Doch der Lohbauer ließ nicht locker. Zwischen seinen riesigen Fingern hielt er die Münze und drängte sie Fine auf. Fast berührte er damit ihre Brust, so nah hielt er das Geld vor sie hin. »Nimm nur, von mir kannst du nehmen. Ist nicht der Oberlandbauer dein Vormund?«
    »Ja«, antwortete Fine zurückhaltend.
    »So nimm! Sieh es als Mitleidsgabe wegen deiner toten Eltern. Und falls du den Oberlandbauern siehst, richte ihm einen schönen Gruß von mir aus. Ich werde nächste Woche wieder auf seinen Hof kommen und eine trächtige Kuh von ihm kaufen.«
    Die Worte des Mannes waren vertrauensvoll, und trotzdem zögerte Fine noch. Doch wenn sie den Taler nicht angenommen hätte, wäre der Mann vielleicht misstrauisch geworden. Dann hätte er womöglich Fines Vormund erzählt, dass sie ein großzügiges und gut gemeintes Geschenk ausgeschlagen hat. Also nahm sie das Geldstück, bedankte sich artig und verabschiedete sich. Sie sah dem Wagen nach und musste an die riesigen Hände des Bauern denken.
    Dann eilte sie zu den Gänsen zurück. In der Zwischenzeit war die Herde auseinandergewichen. Etliche Tiere hatten sich ellenweit von den anderen entfernt. Es kostete Fine viel Mühe und den emsigen Einsatz der Gerte, die Vögel wieder zusammenzuführen.
    Als auch das geschafft war,

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