Das Maedchengrab
Oberlandbauern, wohl um Geschäftliches zu besprechen, aber auch, um die besten Wünsche für die anstehenden Festtage zu bringen.
Ausgerechnet Fine war damit beauftragt, die beiden Männer zu bewirten. Dies also sollte ihr erstes Wiedersehen mit dem Lohbauern werden, nachdem er ihr im Sommer auf den Hollerwiesen das große Geldstück aufgedrängt hatte.
Sie war aufgeregt – doch bald schon erleichtert, denn der Lohbauer grüßte sie freundlich und erwähnte das Zusammentreffen bei den Gänsen genauso wenig wie den Taler. Selbst als Fine die Speisen und Getränke auftrug, blieb er zurückhaltend und brachte sie nicht in Verlegenheit.
Inzwischen hatte Fine von Gerd erfahren, dass der Lohbauer tatsächlich mit seiner Frau in Bonn gewesen war, als Bärbel ermordet wurde. Darum gelangte Fine nun zu der festen Überzeugung: Der Lohbauer hatte ihr den Taler aus christlichem Mitgefühl für den Tod ihrer Eltern geschenkt.
Diese Gewissheit beruhigte sie. Mit Arbeit gut versorgt und geborgen in einer lieben Gemeinschaft verbrachte Fine den ersten Winter auf dem Hof ihres Vormunds.
Im Dorf allerdings rissen die Gespräche um Bärbels Tod nicht ab. Die Polizei verfolgte zwar viele Spuren, konnte den Fall bislang aber nicht lösen. Zwar fanden sich zwei verdächtige Männer, doch da sie schließlich handfeste Alibis vorzuweisen hatten, musste man sie wieder laufen lassen. Trotzdem fühlte Fine sich sicher. Es gab ja keinen Mann, der um sie warb und in den sie sich hätte verlieben können.
Die Bewohner von Reetz achteten zu der dunklen Jahreszeit noch mehr als sonst auf ihre Töchter und Mägde. Als sich auch zum Ende des Winter der Mörder nicht finden ließ, verstärkte sich immer mehr das Gerücht, wonach es vermutlich ein Durchreisender gewesen sein musste, der Bärbel umgebracht hatte. Ein Schurke, den man zum dunklen Gesindel zählen musste – oder gar ein Zigeuner. Bärbel selbst hatte sich auf diesen Verbrecher eingelassen. Man sagte es ihrer Mutter nicht offen ins Gesicht, aber viele Menschen im Dorf dachten dasselbe: Bärbel trug eine Mitschuld an ihrem frühen Ende.
Immer wenn Fine von diesem Gerücht hörte, überkamen sie Zweifel. Sie sprach mit niemandem darüber, sondern überlegte nur für sich. Zu gern hätte sie Gerd oder seine Verlobte Gudrun danach gefragt, wie die Polizei ermittelte und ob es nicht doch klare Hinweise dafür gab, wer Bärbel umgebracht haben könnte. Doch selbst, wenn die Polizei eine verheißungsvolle Spur verfolgte: Das würde man Fine ohnehin nicht verraten.
Gudruns Vater ging es immer schlechter. Er siechte dahin, und an einem kalten Februartag des Jahres 1862 schied er aus dem Leben.
Der Oberlandbauer gab Fine zwei Stunden frei, damit sie an der Beerdigung und der sich anschließenden, kleinen Feier in Gudruns Haus teilnehmen konnte.
Für Gudruns erlittenen Verlust zeigte Fine tiefes Mitgefühl, doch als sich eine günstige Gelegenheit ergab, ging sie auf die junge Frau zu und fragte: »Sag, Gudrun, wie geht es denn nun weiter mit Gerd und dir? Eigentlich hattet ihr doch wohl vor, diesen Frühling zu heiraten.«
»Das können wir nun nicht tun«, entgegnete die junge Frau, offensichtlich dankbar für Fines Nachfrage. »Auch wenn es keinen Zweifel daran gab, dass mein Vater bald sterben würde, so braucht es doch Zeit, seinen Tod zu betrauern. Zudem ist Gerd vollauf eingenommen von seiner Arbeit. Sieh ihn dir nur an«, sie deutete auf ihren Verlobten. »Dünn ist er geworden in den letzten Monaten. Er isst nur noch wenig, und wie er mir sagte, schläft er auch schlecht. So sehr reibt er sich auf bei der Suche nach Bärbels Mörder.«
Fine nickte. Auch ihr war aufgefallen, dass es Gerd nicht gut ging. Sie fasste allen Mut zusammen und fragte: »Gibt es denn viele Spuren, denen die Polizei nachgeht. Dass Gerd vor lauter Arbeit keinen Schlaf mehr findet?«
»Nein«, entgegnete Gudrun. »Ich vertraue dir, darum kann ich es dir ja sagen: Es gibt zu wenige Hinweise auf den Täter. Und gerade das belastet Gerd so. Jedem einzelnen noch so kleinen Indiz geht er nach, doch bisher enden alle Spuren im Nirgendwo.« Die junge Frau seufzte schwer. »Aber nächstes Jahr werden wir gewiss heiraten. Das musste ich meinem Vater auf seinem Totenbett versprechen.«
Fine nickte. Sie ergriff Gudruns rechte Hand. Zusammen sprachen sie ein Gebet, in dem sie der Seele von Gudruns Vater einen Platz im Himmel, aber auch Bärbels Mörder eine gerechte Strafe wünschten.
Der Onkel
Es verging eine
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