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Das Maedchengrab

Das Maedchengrab

Titel: Das Maedchengrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadja Quint
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denn vorstellen, was in ihr vorgegangen sein könnte?«
    »Nein«, entgegnete Ulla. Auch sie spürte in ihrer Trommel eine Unwucht, die auf feste Butter hindeutete. »Dass Bärbel unglücklich verliebt war, konnte ich mir denken. Aber darauf angesprochen habe ich sie nie. Vermutlich wäre sie mir ohnehin nur ausgewichen, also wollte ich sie nicht in Verlegenheit bringen.«
    »Dann könnte es durchaus sein, dass ein Mann dahintersteckt?«, fragte Fine aufgeregt. »Genau wie die Polizei es vermutet?«
    »Schon«, Ulla nickte. »Aber frage mich nicht, wer dieser Mann sein könnte. Das weiß hier niemand. Darüber haben wir Mägde uns schon die Köpfe zerbrochen.«
    Fine überlegte angestrengt, aber entgegnete nichts. Sie kniete sich unter die Buttertrommel und öffnete das Spundloch, aus dem sie die Molke in einen Eimer abließ. Gleich wollte sie die helle Flüssigkeit in den Keller bringen. Dort brauchte man sie zum Einlegen von gehobeltem Weißkohl, damit er sich zu Sauerkraut verwandelte.
    »Mach dir keine Sorgen«, fuhr Ulla tröstend fort. »Ich vermute stark, dass tatsächlich eine Liebschaft damit zu tun hat. Denn so unwirsch Bärbel in letzter Zeit auch war: Auf der anderen Seite schien sie uns oft allzu leichtsinnig und wenig gefestigt im Glauben.«
    Ulla sprach nicht weiter, doch Fine konnte sich denken, was sie mit den wenigen Worten andeuten wollte. »Also meinst du, wenn wir anderen Mägde uns keinem Mann nähern, sind wir vor einem Mörder geschützt?«, fragte sie, während sie wunderbar helle Butter aus der Trommel in eine Schüssel hob.
    »Ganz sicher, Fine. Da können wir guten Mutes sein. Wenn wir auf Gott vertrauen und die Gebote des Pfarrers achten, dann sollte uns kein Leid geschehen.«
    Voll Dankbarkeit über die Worte umarmte Fine ihre Kameradin. Die beiden versprachen einander, sich immer zu erzählen, was sie bedrückte.
    So festigte sich die Freundschaft zwischen Fine und der fünf Jahre älteren Ulla. Trotz der vielen Arbeit fühlte Fine sich bald heimisch auf dem Hof ihres Vormunds. Jeden Morgen um fünf Uhr trat sie ihren Dienst an und kehrte spätabends in ihre Schlafkammer im Schuppen zurück. Ein über den anderen Sonntag hatte sie nach dem Kirchgang arbeitsfrei, dann saß sie bei ihrer Quartiersmutter in der Küche und erzählte vom Treiben auf dem Oberlandhof. Marjann hörte zu, äußerte sich wohlwollend über das, was Fine an neuen Fertigkeiten lernte, und trug die eine oder andere Anekdote aus der eigenen Jugend bei. Dies waren die schönsten Stunden für Fine. Sie freute sich, weiter bei der alten Frau zu wohnen, die für sie längst die Stelle einer treu sorgenden Großmutter eingenommen hatte.
    Kurz vor Allerseelen gingen Fine und Basti wie jedes Jahr zum Vogelbeerbaum neben dem Haus, das sie früher als Familie bewohnt hatten. Noch immer stand es leer. Nach dem Tod der Eltern war es an den Hypothekengeber zurückgefallen, einen Mann aus Blankenheim, der durch die Fabrikation besonderer Webstühle zu Geld gekommen war. Es tat den Geschwistern in der Seele weh, dass sich wegen der vielen Auswanderungen kein Mensch fand, der das Häuschen kaufen und wieder mit Leben füllen wollte.
    Doch wenn Fine und Basti ihr altes Zuhause auch nicht mehr betreten durften, so war es ihnen doch erlaubt, die Zweige des Vogelbeerbaums zu schneiden. Sie banden daraus hübschen Grabschmuck, und am Allerheiligentag suchten sie die letzte Ruhestätte der Menschen auf, die sie gekannt hatten. Dabei gingen sie auch zum Grab von Marjanns drei toten Töchtern, und als Basti den Friedhof schon wieder verlassen wollte, hielt Fine ihn am Arm fest.
    »Lass uns noch Lisbeth und Bärbel besuchen.« Sie schlug den Weg zur großen Eiche ein, denn der Zufall hatte dafür gesorgt, dass beide nicht weit voneinander entfernt lagen.
    Basti folgte seiner Schwester, und als sie an den Gräbern der ermordeten Mädchen standen, murmelte er: »Gebe Gott, dass es bei diesen zweien bleibt.«
    Fine erschrak, denn denselben Gedanken trug auch sie in sich. Ursprünglich hatte sie länger verweilen wollen, um für Lisbeth und Bärbel zu beten, aber sie entschied sich bald, den Friedhof zu verlassen. Ohne Widerspruch kam Basti mit. Er schien zu spüren, was sich in der Seele seiner Schwester abspielte. Doch offenbar wollte er Fine nicht darauf ansprechen, und auch sie zog es vor, zu schweigen.
    Es verging der November. Im Advent ereignete sich das, wovor Fine sich immer gefürchtet hatte: Der Lohbauer kam auf Besuch zum

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